Mal was über Orange.

Orange?

Montag, 13. Oktober 2014

Marxismus-Lennonismus??

Erst freut man sich wohl über die wortspielenden Briefmarken: Marx und Lenin, nein, Lennon! Und Marx ist hier auch Groucho und nicht Karl. Wie lustig! Wer bringt so etwas als Briefmarke heraus? Das, was auf den ersten Blick wie Russisch aussieht, ist irgendwie auch anders, aber – da steht's ja auch auf Englisch. Republic of Abkhazia (dann auf Deutsch wohl 'Abchasien').  



Was ist denn das nun wieder? Nun, um es kurz zu machen: Abchasien ist der westlichste Teil von Georgien, der aus komplizierten Gründen (geschichtlicher Art) glaubt, kulturell und überhaupt eben nicht Georgien zu sein, sondern eigenständig. Völkerrechtlich ist es das nicht, und nur sechs Staaten erkennen Abchasien überhaupt an, darunter so mächtige Nationen wie das Südsee-Inselchen Nauru oder das Inselreich Vanuatu (aber auch, das sei zugegeben, Russland. Putin wird schon wissen, warum).




Wirtschaftlich hängt das Land völlig von Russland ab; ein Versuch, sich eine eigene Einkommensquelle zu erschließen, scheinen Briefmarken zu sein, von denen einige originell genug sind, um sich auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Andere "Winz"-Staaten praktizieren so etwas schon sein Jahrzehnten: Man denke etwa an San Marino.

Eine Landkarte ohne großen Wert
(Abchasien)
Lennon ist irisch und bedeutet (abgeleitet von O'Lennain oder Leannán oder Lonain – was Schreibweisen angeht, war man früher viel unbekümmerter; das gilt, dünkt mich, für das Irische ganz besonders) vermutlich in irgend einer Form 'Sohn des Lónan' ergo: 'Amsel'; nach anderen Quellen könnte es auch 'Liebhaber' heißen. Genaues weiß man also nicht. Bekannte Iren dieses Namens: die Lennons of Fermanagh.



Natürlich spielt die Briefmarke auf Lenin an. Der historische hieß ja Владимир Ильич Ульянов, und Lenin ist ein Pseudonym, buchstäblich ein nom de guerre, vermutlich abgeleitet vom sibirischen Fluss dieses Namens. Laut Wikipedia benutzte er noch andere Namen, wie etwa Meier, Frei und Peterburzhets.



Marx – ein Name, der erstaunlich schwer online zu recherchieren ist. Die meisten Web-Adressen, die sich mit (Nach-) Namen beschäftigen, sind interessiert an Genealogie, also Ahnenforschung, und weniger an der Bedeutung von Namen. So bekommt man relativ oft Karten, die die Verbreitung von Nachnamen zeigen sollen (was die wahren Verhältnisse meist stark verzerrt), lange Listen über die Beliebtheit von Namen – jetzt fehlt nur noch ein Ranking nach dem Motto "Die effektivsten Nachnamen Deutschlands" -; wenigstens eine Website will mir beweisen, dass Namen unser Leben bestimmen usw. Fast will es scheinen, als ob keiner was genaues wüsste.
deutsche-nachnamen.de  fragt mich tatsächlich "Meinten Sie Mars?" Nein, meinte ich nicht.  



Man wundert sich: Karl aus Aachen hieß Marx, und eine ganze Ideologie wurde nach ihm benannt. Reicht das nicht? Oder: Groucho, Harpo, Chico und Zeppo drehten über ein Dutzend Filme. Aber keiner weiß, wo der Name herkommt? Gut, die Filme waren eher albern, aber reicht das für ein "Es konnten keine Suchergebnisse (auf Deutsch) für „marx“ gefunden werden!"? (das "auf Deutsch" ist übrigens eine arge Hochstapelei, denn andere Optionen kennt die Site nicht.
freie Bearbeitung des Wappens
von Wolhynien


Also, vorläufiges Fazit: Genealogie per Internet ist eine seltsam ungenaue, oft irreführende Angelegenheit. Zumindest gilt das für die Websites, die ich konsultierte. Letztlich landet man tatsächlich wieder bei – Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Marx_(Familienname)). Dieser Quelle nach ist der Name eine alternative Schreibweise zu Markus (so erklärt sich ja auch der merkwürdig anmutende Name eines ehemaligen Klosters in Würzburg: "St.Marx".
Aber mal unter uns: Sowohl die Marx Bros. als auch Karl Marx waren Juden – im Falle von Karl 'jüdischer Abstammung', und das will mit einem christlichen Kloster nicht recht zusammengehen.



Das muss aber auch nicht sein: Als jüdischer Name ist dies, so Wikipedia, ein "Ersatzname für Mordechai." Wieso man für Mordechai einen Ersatznamen braucht? Könnte sein, dass Mordechai zu offensichtlich jüdisch klingt? Das klingt interessant, doch führt es hier zu weit weg von der Briefmarke und Abchasien. Der Leser möge selbst recherchieren.





A propos Winz-Staaten: Es gibt eine ganze Reihe von Territorien, die das Schicksal von Abchasien teilen. Man will sich vom 'Mutterland' lossagen, oder hat sich bereits losgesagt, und keiner glaubt einem. Niemand interessiert es, dass man eine alte Kulturnation ist, irgendwann einmal ein selbständiges Fürstentum war (wie Monaco, San Marino oder Liechtenstein es heute noch sind) und dass man überhaupt Freiheit über alles liebt, wie diverse patriotische Gesänge aus verstaubten Jahrhunderten beweisen. Ja, die Sprache des Landes ist so alt, dass sie inzwischen kaum noch jemand versteht – und was dergleichen Argumente noch mehr sind.

sic transit gloria mundi:
So vergeht der Ruhm der Welt
Und? haben diese Völker nicht auch das Recht auf Selbstbestimmung? Ist die Größe eines Landes wichtig? (Warum gibt es dann Nauru?). Ist es der Reichtum an Bodenschätzen, oder werden solche Mikro-Nationen von den mächtigeren Völkern als Schachfiguren benutzt? Einfach nur Pech gehabt?



Die Antwort liegt auf der Hand: Ja.



Nationen, die vom Zerfall der Sowjetunion übrig geblieben sind:
     Süd-Ossetien, Berg Karabach, Transnistrien

Nationen, von denen einige der eben erwähnten Nicht-Staaten abgefallen sind, die selbst aus dem Zerfall der o.g. Sowjetunion resultieren, aber mehr Glück hatten und international anerkannt sind:

      Georgien, Moldawien, Aserbeidschan

Nationen, die es (noch) nicht geschafft haben, den Status als Kolonie abzuschütteln:

      Sahara, Somaliland, Punt, West-Neuguinea,  

Nationen, die bis auf weiteres von anderen kontrolliert werden

      West-Neuguinea ("Iryan Jaya"), Palästina, Wa, Tibet

Nationen, die einmal jemand waren, was aber heute keine Rolle spielt:

      Königreiche wie Burgund, Böhmen oder Bayern, Zarenreiche wie Bulgarien,  
      das Khanat der Krim, der Kirchenstaat, die Walachei, Galizien oder das
      Fürstentum Halytsch-Wolodymyr.  


Die Liste ist endlos, sinnlos, aber reizvoll.



Es gibt im Englischen eine Redewendung: "There, but for the grace of God [go I]"  soll jemand beim Anblick von zum Tode Verurteilten gesagt haben, die auf dem Weg zur Hinrichtung waren; "wäre Gott mir nicht gnädig gewesen, wäre ich einer von diesen"1 Im Falle von Nationen, Völkern und freiheitsliebenden Ethnien ist Gott oft auch gnädig und lässt sie am Tisch der Nationen Platz nehmen. Manchmal lacht er dann und schickt sie wieder fort...




1Hier streikt übrigens ausnahmsweise auch Linguee:

[...] nach Hause; und als ich sah, daß die arme Katze, die beseitigt wurde,  ich, aber für die Anmut des Gottes, gehen I." dachte, also könnte Himmel eine bessere Lebensdauer sein