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Mittwoch, 29. Juli 2015

Schriftwechsel

Schriftwechsel



Die Schrift, die Sie gerade lesen, stammt von der Schrift der römischen Antike ab (und heißt im Folgenden 'Lateinschrift'); die Sprache ist Deutsch, und die Schrift ist dieser Sprache angepasst, aber nicht immer ganz glücklich. Wir haben Buchstaben im Alphabet, die wir eigentlich nicht brauchen (C, J, Q, V, X, Y und Z; sie ließen sich allesamt ersetsen); unsere Umlaute sind Kompromisse (Ä, Ö, Ü sind keine eigenen Zeichen!) und anderseits schreiben wir unnötig kompliziert bei Lauten, die relativ häufig vorkommen: CH, SCH, NG. Aber wir haben uns daran gewöhnt. Der Grund für diese Sachlage ist, dass unsere germanischen Vorfahren von den römischen Besatzern und Missionaren erst das Schreiben gelernt haben.



Bei der Einführung der Schrift in Kulturen (und Sprachen), die noch nicht verschriftet sind, wird i.allg. die Schrift der Missionare/Eroberer benutzt und mehr oder weniger stark dem phonetischen System der kolonisierten Sprache angepasst. So führten die byzantinischen (also griechischsprachigen) Mönche Kyrill und Method eine Form des Griechischen ein, die dem slawischen Lautbestand osteuropäischer Völker angepasst war. Diese Schrift, das glagolitische Alphabet, entwickelte sich allmählich zur Kyrilliza, der kyrillischen Schrift.
Russische Variante des Kyrillischen Alphabets



Im Laufe der Jahrhunderte entwickelten sich Varianten des Kyrillischen, die sich je nach Sprache (und deren Lautinventar) unterschieden, denn die Schrift wurde nicht nur für Russisch, sondern auch für andere Sprachen verwendet. Dies sind zum einen andere slawische Sprachen, die dem Russischen verwandt sind, wie Bulgarisch, Ukrainisch oder Mazedonisch, zum anderen aber auch nicht-slawische Sprachen, die noch kein eigenes Alphabet hatten (d.h. noch gar nicht verschriftet waren), als sie dem Reich der russischen Zaren eingegliedert wurden. Darunter waren Turksprachen wie Kasachisch, Kirgisisch oder Uigurisch, und "exotischere" Sprachen wie Tadschikisch oder – seit dem 16. Jhd. bereits - Rumänisch.



Natürlich wurden auch nicht alle slawischen Sprachen kyrillisch; nicht-orthodoxe Länder wie Polen, Tschechien, Slowakei oder Kroatien passten die Lateinische Schrift ihren Bedürfnissen an, und auch die Sprachen am Kaukasus, die bereits ein eigenes Alphabet hatten, wie Georgisch oder Armenisch, behielten dieses bei. Eine große Ausnahme war Rumänien: Dort schaffte man 1865 das kyrillische Alphabet ab und schrieb fürderhin mit lateinischen Buchstaben.



In Zeiten der Sowjetunion wurde die Kyrillisierung Asiens energischer vorangetrieben, und jetzt wurde z.B. auch Mongolisch mit kyrillischen Buchstaben geschrieben.




alte Handschrift mit dem glagolitischen Alphabet

Glagolitisch sieht für das ungeübte Auge sehr exotisch aus, auch im Vergleich zum Griechischen. Das daraus entwickelte Kyrillisch hingegen ähnelt stark dem lateinischen Alphabet, und zwar nicht ganz zufällig: Zar Peter der Große, der westlichen Einflüssen gegenüber ohnehin offen war, ließ um 1700 die Schrift in seinem Reich modernisieren, und das hieß: dem Lateinischen optisch angleichen. Es muss betont werden, dass dies nur ein optischer Unterschied war: Als Schriftsysteme sind die glagolitische und die kyrillische Variante gleich.



Dazu eine interessante Parallele: In Deutschland war seit Jahrhunderten eine Form des lateinischen Alphabets gebräuchlich, die heute noch von vielen als "altdeutsche Schrift" bezeichnet wird - die Fraktur. Überraschenderweise wurde in den 1930ern per Dekret die Frakturschrift abgeschafft – übrigens auf persönliche Anordnung Hitlers – und durch die heute noch gebräuchliche(n) Antiquaschrift(en) ersetzt. Auch hier ist der Wechsel ein rein optischer, denn das Alphabet an sich blieb gleich (Zuordnung von Laut und Zeichen, Sonderzeichen etc.). Der Fraktur als Druckschrift entsprach die altdeutsche Schreibschrift, häufig auch Sütterlin genannt. Diese verschwand nach und nach mit der Fraktur.


altdeutsche Schreibschrift (Sütterlin)
Noch einmal zur Einführung einer Schrift in eine noch nicht verschriftete Kultur: Die Entwicklung. gar Erfindung einer Schrift gezielt für eine einzelne Sprache und deren Phonetik bleibt die große Ausnahme. Immerhin: Es ist schon vorgekommen. Ein Cherokee-Silberschmied namens Sequoyah schuf Anfang des 19. Jahrhunderts eine Silbenschrift für die Cherokee-Sprache, die
Sequoyah und die Cherokee-Schrift
tatsächlich zu einer Literarisierung dieses Indianervolks führte; eine weitergehende Verbreitung der Schriftlichkeit, etwa in andere Indianerkulturen, blieb aus.



Manchmal jedoch wird in einer Kultur ein kompletter Schriftwechsel vollzogen, d.h., die Umstellung auf eine vollständig andere Schrift und eine damit verbundene andere Phonetik. Das hat in der Regel politische Gründe. Ein Beispiel wurde oben schon erwähnt: Der Wechsel von Kyrillisch zur Lateinschrift 1865 in Rumänien. Rumänisch ist bekanntlich eine romanische Sprache, stammt mithin vom Latein ab, und ein Wechsel zur lateinischen Schrift scheint daher logisch. Andererseits ist die vorherrschende Religion orthodox, und so läge ein festhalten am Kyrillischen nahe. Auch im Nachbarland Rumäniens, Moldawien, wird Rumänisch gesprochen und lateinisch geschrieben; im abgespaltenen Teil des Landes, in Transnistrien (östlich des Dnister) spricht man Rumänisch, schreibt aber (immer noch) in kyrillischer Schrift.



Im Grunde ist der Wechsel von einem Schriftsystem zu einem anderen fast immer politisch motiviert. Als nach dem ersten Weltkrieg das Kernland des Osmanischen Reichs, die Türkei, sich unter Kemal Atatürk, dem "Vater der Türken" nach Westen orientierte, sich des osmanischen Erbes entledigte und 'modernisierte', geschah das nicht zuletzt in der Schrift: Statt der im osmanischen Reich verwendeten arabischen Schrift wurde die ungleich modernere lateinische Schrift Europas eingeführt, was angesichts der damals vielfach analphabetischen Bevölkerung recht rasch und gründlich gelang. In ähnlicher Weise wenden sich die Satellitenstaaten der ehemaligen UdSSR immer mehr von der kyrillischen Schrift ab, wenngleich die Umstellung nicht immer leicht zu vollziehen ist. Aserbaidschanisch ist eine Turksprache, so dass das Land zwar ein lateinisches Alphabet einführte, aber in Gestalt einer Variante des türkischen Alphabets. Kasachstan scheint den Übergang noch nicht vollzogen zu haben und fährt (inoffiziell) zweigleisig, mit der kyrillischen Schrift einerseits und der neutürkischen Lateinschrift andererseits. Usbekistan schwankte zwischen der arabisch-persischen Schrift und der türkisch modifizierten Lateinschrift; letztere wird z.Zt. verbreitet eingeführt.

Tastatur für die indische Devanagari-Schrift
Ein wichtiger Faktor bei der zunehmenden Umstellung auf – wie stark auch immer modifizierte Formen der – Lateinschriften scheint das Internet zu sein, das zu wesentlichen Teilen auf dem westlichen Alphabet basiert, und da andere Schriftsysteme einen teilweise erheblichen Mehraufwand erfordern, wenn man sie ins WWW einbringen will. Ganz logisch ist das Argument andererseits nicht: Zwar sind die Schriftsysteme des Japanischen oder Chinesischen tatsächlich so komplex, dass allein schon eine handhabbare Tastatur ein großes Problem darstellt. Aber Isländisch, Griechisch oder Irisch zum Beispiel haben kein Problem mit der Tastatur, sondern mit der Sprache. Das Internet spricht halt Englisch.

Irisches Alphabet (das Wort, 'gaelach', bedeutet 'gälisch')


Zum Thema Schriftsysteme sei hier noch auf den ausgezeichneten Wikipedia-Artikel verwiesen: