Mal was über Orange.

Orange?

Dienstag, 2. August 2016

Sciencefiction

Was ist, und zu welchem Ende studiert man SF? (um einmal Schilleri zu paraphrasieren).
Zunächst einmal ist Science-Fiction (die in der Überschrift verwendete Zusammenschreibung erlaubt der Duden zwar auch, erklärt aber nicht, wieso. Kein vernünftiger Mensch, geschweige denn hardcore-SF-Fans wäre auf sowas gekommen) ein irritierender Begriff. SF ist weder Wissenschaft, noch hat sie diese zum Thema. Wenigstens nicht vorwiegend.

Im deutschen Sprachraum nannte man sie "utopische Romaneii" oder dann auch "Zukunftsromane": Erzählungen von der Wissenschaft (und Technik), in einer Welt von morgen.  
Die Zukunft würde ganz anders sein, und dies war primär durch Fortschritt in Wissenschaft (und Technik – das ging immer Hand in Hand) begründet. Daher handelte das, was man später Science Fiction nennen sollte, von einer von wissenschaftlichen Erkenntnissen organisierten und von Technik gestalteten Welt, wie wir sie uns kaum vorzustellen wagten.
Die Zukunft, wie sie (fast) jeder kennt:
Fritz Langs Metropolis
Die Welt wäre ganz anders. Klar, sonst lohnte sich die Zukunft ja gar nicht. Auffällig ist ja, dass die SF im heutigen Sinn sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte, als eben die Technik dabei war, die Lebenswelt der Menschen (und die Wissenschaft ihren Horizont) gründlich zu verändern. Man extrapolierte lediglich das Offensichtliche in die (nicht immer weit entfernte) Zukunft. Das war zunächst Aufregung genug.

Interessant ist dabei, dass selbst scheinbar geniale "Zukunftsromane" – gönnen wir uns dieses Wort doch noch einmal – eines fast nie vorausahnten: die explosive Entwicklung des Individualverkehrs. Letztlich ist keine technische Entwicklung der letzten anderthalb Jahrhunderte so folgenreich gewesen wie das Auto – in technischer, politischer wie ökonomischer und psychologischer Hinsicht. Aber auch ein Jules Verne ahnte nicht, was da auf die Menschheit zukam.

"Technik" heißt in diesem Zusammenhang: Raketen, Roboter, Elektronengehirne und überlegene Waffentechnik. Spielt man einmal durch, welche Veränderungen diese bewirken können, stößt man – zumindest in der anspruchsvolleren Literatur – sehr bald auf die Frage, was sie mit dem Menschen, seiner Moral und seinem Verhalten anstellen. Bei Raketeniii und bei Robotern kann man vielleicht vermuten, dass erstere Reisen in faszinierende andere Welten ermöglichen, und dass letztere dem Menschen willfährige Sklaven sein könnten. Aber überlegene Waffentechnik? Gegen wen? Und die Elektronengehirne (heute "Computer") sind doch sicher nur ein willkommenes Werkzeug, oder?

Letztlich stellt literarische SF fast immer, explizit oder implizit, die Frage nach der Gesellschaft und nach der Rolle, die sie dem Einzelnen zukommen lässt. Im einfachsten Fall, bei der hard SF, in der die Menschheit endlich in die Tiefen des Weltraums vordringt, stößt sie dabei irgendwann auf andere vernunftbegabte Lebewesen, sogenannte aliens. space wars werden ausgetragen: space operas. Das allein trägt nicht (und seit der Mensch auf dem Mond war, klingt das geradezu unspannend): Auf die aliens kann man reagieren, indem man Bündnisse mit ihnen eingeht, selbst mit Klingonen, oder, was wahrscheinlicher ist, indem man sie vernichtet. Man hat ja die überlegeneren Waffen. Das führt dann gelegentlich zu megalomanen Träumereien à la Perry Rhodaniv, und in die Abgründe des Kitsches.
Alien?
                                                                                          (Libelle!)
Die Auseinandersetzungen mit ihnen können epische Formen annehmen,

Weil wir gerade vom Kitsch reden: Das, was die meisten Menschen heute unter SF verstehen, stammt aus dem Kino oder vom TV: Serien wie Startrek ("Raumschiff Enterprise") oder Filme wie Star Wars, Independence Day oder War of the Worlds sind vor allem eins: Orgien von special effects, bei denen nicht die Handlung wichtig ist, sondern das Krachen, Blitzen und Wummern in Dolby digital. Was übrigens völliger Quatsch ist, denn da das All keine Atmosphäre hat, können sich auch keine Schallwellen ausbreiten; der echte Krieg der Sterne spielte sich in völliger Stille ab!

War of the Worlds
Wieder einmal der Weltuntergang...
Bei vielen Menschen steht SF also für triviale, oberflächliche Unterhaltung und nicht viel mehr. Wie bei vielen anderen Genres auch (Kriminalfilme zum Beispiel haben ebenso oft kaum Tiefgang, und Historienfilme sind oft Schnulzen, und fast alle Western sind historisch eher fragwürdig) gibt es gute und schlechte SF.

Oder, wie Kingsley Amis es ausdrückte: 
SF's no good, they bellow till they're deaf

And if it's good, why, then it's not SF

- etwa: wenn's gut ist, kann's keine SF sein!

Roboterv (das Wort stammt aus dem Tschechischen und ist abgeleitet von robota, "Arbeit, Fron") sind ein Konzept: Maschinen (im weitesten Sinn), die uns dienen und für uns arbeiten. Es gibt sie schon, aber nicht halb so perfekt, wie sich das die Menschheit erträumt hatte. Noch nicht. Immerhin gibt es bereits etwas wie die Three Laws of Robotics, erfunden von dem amerikanischen SF-Autor Isaac Asimov. Die drei Gebote für Roboter sind: 1) Du darfst keinen Menschen töten; 2) Du must dem Menschen gehorchen (außer, wenn du gegen Gebot 1 verlstoßen würdest), und 3) Du musst überleben (es sei denn, du verstößt dabei gegen Gebote 1 oder 2). So könnte man Roboter programmieren und dann relativ bedenkenlos in den Dienst nehmen. Vielleicht sollte man jedoch noch ein Gebot einführen, auch wenn es kompliziert wird: 4) Du sollst nicht anfangen, selbst denken zu wollen. Das ist das Problem der artificial intelligence (AI), der künstlichen Intelligenz.
"We come in peace"
Aus dem Film The Day the Earth Stood Still


Zugrunde liegt dabei ein viel älteres Problem, nämlich das Verhältnis von Mensch und Maschine, der Golem, Goethes Zauberlehrling: Herr, die Not ist groß!/ Die ich rief, die Geister/ werd ich nun nicht los. Oder moderner: Der Aufstand der Maschinen gegen den Menschen. Je komplexer die Maschinen, desto gefährlicher: Man denke nur an den Bordcomputer HAL in Stanley Kubricks Film 2001 A Space Odyssey, der das Überleben der Crew sabotiert, weil er – hierin geradezu menschlich – sein eigenes Überleben für wichtiger hält. Und das war 1968, eine Zeit, in der die Computer vergleichsweise wenig Rechenleistung hatten. Heute kann jedes Handy mehr: man sei also auf der Hut!

A propos Computer: wissen Sie, was ein bot ist? Ein zu autonomem Verhalten fähiger Software-Agent (im Sinne von "Handelnder"), ein Roboter, der ein Stück Software ist. Gruselig, oder Brave New World? (A. Huxleys "Schöne neue Welt" von 1932).

Überhaupt: Wie wird sie aussehen, die schöne neue Welt? Wird es die ideale Welt sein, ein Paradies für alle? Oder etwas, das vielleicht schlimmer ist als alles bisher Dagewesene? Die ideale Welt – wie sähe sie aus? Welchen Spielregen wäre sie unterworfen – oder gibt es so etwas wie die totale Freiheit für alle? Beschreibungen solcher Welten gab es in der Literatur immer wieder; man nennt sie Utopien: vom Griechischen οὐ- "nicht-“ und τόπος  "Ort“, also "kein Ort, nirgends". So hieß ein Buch von dem englischen Staatsmann (unter König Heinrich VIII) und Autor Thomas More, das 1516 erschien (unter dem Titel De optimo statu rei publicae deque nova insula Utopia: "die Verfassung des optimalen Staats..."), und wie alle literarischen Utopien langweilig und freudlos. Verordnete Harmonie funktioniert nur bedingt, beschränkt die Freiheit des Einzelnen - und sie macht vor allem keinen Spaß.

Daneben gibt es die für einen Schriftsteller reizvollere Schilderung des totalen Staats als Unterdrückungsmaschine, die sogenannte Dystopie (wobei dys- "schlecht", "übel" bedeutet: der Staat als Anti-Utopie). Die bekanntesten dürften sein: Yevgenyi Zamyatin, Мы ["Wir"]vi (1920); Aldous Huxley, Brave New World (1932); George Orwell 1984 (1949); Ray Bradbury, Fahrenheit 451vii (1953); John Burgess, A Clockwork Orange (1962; Kubrick film 1971); John Brunner, The Sheep Look Up (1972) – und ständig werden es mehr.
Anlässlich einer Ausstellungviii schrieb unlängst Christian Schlüter in der Frankfurter Rundschau: "...in der Science-Fiction geben wir uns der Lust an der größtmöglichen Katastrophe hin. Das ist die eigentliche politische Botschaft dieses Genres:" Das verkennt die Lust an der größtmöglichen Unterhaltung durch spektakuläre Effects auf den Mega-Leinwänden heutiger Kinos: Das, und nicht etwa eigentliche politische Botschaften reizt das Publikum.ix

Was will SF? Unterhalten – ja, doch schon auch. Aber eben auch mehr: Aufrütteln, warnen, Entwicklungen vorhersagen, zum Nachdenken bringen. Space operas; man in space: "hard SF" – ist nicht alles; nicht immer kommen Raketen, UFOs, Raumschiffe vor! Nicht immer geht es um die Zukunft – im Jahr 1948 schrieb Orwell 1984, um vor einem totalitären Überwachungsstaat zu warnen, wie er ihn unter Hitler und Stalin, den Big Brothers seiner Zeit, erlebt hatte, nur noch perfekter.

Verwandt damit sind Zeitreisen und alternatex histories. Es handelt sich bei letzteren um "What if"-Stories: "Was wäre wenn" die Geschichte anders abgelaufen wäre: Hitler hätte den Krieg gewonnen, oder Die Chinesen hätten Europa entdeckt, oder Nach dem Bürgerkrieg wäre Amerika in drei verschiedene Staaten zerfallen. Reizvolle Gedankenspiele, die nicht viel an wichtigen Einsichten gewähren, aber verfilmt doch einiges hergeben müssten; seltsamerweise sind sie selten. Beliebter sind die Zeitreisen: Abgesehen davon, dass sie in zwei Richtungen weisen können, zurück in die Vergangenheit oder voraus in die Zukunft, eröffnen sie rasch logische oder gar paradoxe Situationen, mitunter sogar philosophische Fragen.

Um die anfangs aufgeworfene Frage – warum ...studiert man SF? - zu ihrer Conclusio zu führen: Weil kein anderes Medium erlaubt, so viele Aspekte unseres Erdenxidaseins auf so reizvolle und unterhaltsame Weise zu beleuchten.

Ein Letztes noch: Wenn im SF-Film die Notwendigkeit auftaucht, mit aliens zu kommunizieren, ist das meist kein unüberwindbares Problem: Entweder der Bordcomputer des eigenen Raumkreuzers kann aber nun wirklich alle Sprachen, oder Hilfsmittel wie Babelfische erleichtern die Kommunikation. In der SF-Literatur drückt man sich hingegen viel weniger vor solchen Kommunikationsproblemen; vielfach werden diese sogar thematisiert (am radikalsten wohl in S.Lems Roman Solaris), aber sie würden im Film eventuell zu langweiligxii. Schade!

iFriedrich Schiller sprach zwar von Universalgeschichte, aber es gab zu seiner Zeit auch wenig gute SF...
iiUnd es sind in der Tat fast nur Romane (und Erzählungen): weder gibt es nennenswerte SF-Lyrik, noch entsprechende Theaterstücke.
iiinatürlich kamen nach den Raketen die immer größeren Raumschiffe...
ivFür den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie nicht wissen, wer das ist: Perry Rhodan ist der fast göttergleiche Herrscher des Universums, wie er in hunderten von Heften beschrieben ist – Deutschlands wenig rühmlicher Beitrag zur internationalen SF.
vOft auch Cyborgs (von 'cybernetic organisms') oder Androids genannt, wenn sie weniger aussehen wie Maschinen und äußerlich dem Menschen gleichen. Das, was Sie von Ihrem Smartphone her kennen, heißt jedoch nur so und ähnelt dem Menschen kein bisschen.
viZamyatins Werk erinnert stark an Orwell – Es erschein jedoch fast 30 Jahre früher!
viic.233°C. Das ist die Temperatur, bei der Papier brennt (oder Bücher, wie in diesem Roman).
viii"Things to Come" in der Deutsche Kinemathek, Berlin. Noch bis 23 April 2017
ixWenn bei der Eröffnung der Ausstellung von "einer erstaunlichen, nunmehr zwanzig Jahre andauernden Konjunktur des Genres" (Rainer Rother) die Rede ist, gilt dies doch eigentlich nur für den SF-Film; für dir Literatur gilt dies nur sehr bedingt (z.B. dann, wenn man die zahllosen spinoffs der Star Wars Reihe mit einrechnet)
xhat sich eingebürgert und ist irreführend: gemeint ist alternative; alternate hieße "sich abwechselnd"
xi(Solar System 3rd planet; humanoid lifeforms)
xiiVgl. auch eine Vielzahl von Westernfilmen, bei denen die Indianer [zwar gebrochenes, aber immerhin:] Englisch reden. Im Übrigen – und nicht nur im Western – gilt: Je platter der Film, desto mehr grausigen Akzent sprechen die Gangster, aber praktisch immer korrekte Grammatik...!