Mal was über Orange.

Orange?

Montag, 13. Februar 2017

les neiges d'antan?

Eine gern zitierte – und auch durchaus plausible - These besagt, dass Inuit (das Volk, das früher mal als „Eskimos“ bezeichnet wurde), mehr Wörter für Schnee kennen als irgendjemand sonst. Vielleicht noch die Jakuteni. Jedenfalls ist es ja nachvollziehbar, dass es für Menschen im Polargebiet lebensnotwendig sein kann, sich beim Schnee gut auszukennen, um gefährliche Situationen zu vermeiden, oder das wenige jagdbare Wild im Schneetreiben zu finden.

Nun hat vor kurzem die Wissenschaft Spektakuläres herausgefunden! Dazu gleich mehr... 

 Der aus Minden stammende Ethnologe Franz Boas (1858 - 1942), dessen hauptsächliches Forschungsgebiet die Indianer und Inuit des amerikanischen hohen Nordens waren, bemühte sich, Kulturen sozusagen von innen heraus zu verstehen und zu würdigen. Dabei trat er vehement dem damals weit verbreiteten Rassismus entgegen, der Völker wie zum Beispiel die Inuit für primitiv und unterentwickelt hielt. Um seinen europäischen und amerikanischen Zeitgenossen sozusagen zu beweisen, wie relativ komplex (und daher hochentwickelt) ihr Leben und damit auch ihr Wortschatz war, zeigte er den linguistischen Reichtum solcher Völker auf.

Und es lässt sich in der Tat feststellen, dass es im Inuktitut (der Sprache der Inuit) zahlreiche Wörter für Schnee gibt, die zu belegen scheinen, wie differenziert die Inuit ihre Umwelt wahrnehmen. Hier ein paar Beispiele:
qanik: fallender Schnee
qanittaq: vor kurzem gefallener Schnee
aputi: Schnee auf dem Boden
maujaq: weicher Schnee auf dem Boden
masak: nasser fallender Schnee
matsaaq: halbgeschmolzener Schnee auf dem Boden
aqilluqaaq: Treiben von weichem Schnee
sitilluqaq: Treiben von hartem Schnee
kaviʁisiʁlaq: durch Regen und Frost rauh gewordener Schnee
pukak: kristallener Schnee auf dem Boden
miŋuliq: feiner Mantel von pudrigem Schnee
natiʁuvaaq: feiner von Wind getragener Schnee
piiʁtuʁiniq: dünner Mantel von weichem Schnee auf einem Objekt
und so weiterii und so fort.

So, und jetzt kommt's! Es gibt ein Volk in Europa, das diese Liste noch toppen kann!! Kaum zu glauben, aber noch mehr Wörter für Schnee als die Inuit haben – die Schotten. In den schottischen Highlands fällt tatsächlich viel Schnee, auch wenn es im Rest des Landes eher selten schneit. Trotzdem wollen Wissenschaftler an der University of Glasgow (eine Forschergruppe um Susan Rennie) unlängst herausgefunden haben, dass die Schotten sage und schreibe 421 Wörter für Schnee haben – der absolute Weltrekord! Mit Ausdrücken wie flindrikin (leichter Schneeschauer – aqilluqaaq?), feefle (herumwirbelnder Schnee) oder blin-drift (Schneeverwehung) machen sie in der Tat den Inuit zumindest Konkurrenz.

Oder war das mit den zahllosen Inuit-Wörtern für Schnee so etwas wie Wunschdenken? Ein Missverständnis in freundlicher Absicht? Ja und nein. Man sollte sich hüten, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Jedes Sprache funktioniert anders; je exotischer, desto mehr. Die Inuit haben eine Sprache, die problemlos die kompliziertesten Zusammensetzungen aus einer eher überschaubaren Menge an Wortstämmen, Ableitungen und Zusammenziehungen bildet. Wenn solche „Wörter“ nun ins Deutsche (oder Englische) übersetzt werden, ergeben sie oft Wortungetüme, die aussehen wie ganze Sätze. Schwer wird es dann auch, zu zählen, wie viele Wörter (und wie viele Bedeutungen) im Zusammenhang mit – sagen wir mal – Schnee eine Sprache hat.

Machen wir doch einmal ein Experiment: Schließen Sie die Augen, denken ein paar Minuten an Schnee, und schreiben Sie dann ihre eigene Wortliste, Wie viele Schnee-Wörter fallen Ihnen ein?
Schnee, Papp- , Pulverschnee, Firn, Schneewehen, Harsch, Schlossen, Graupel, Raureif, Schneegestöber, Flockenwirbel, hereinschneien, Schneesturm, Blizzard, schneebedeckt, schneefrei, weiße Pracht, das Weiß, schneeblind, Schneeflocken, Schneekristalle, beschneit, verschneit, schneeglatt, schneeweiß, einschneien, Sulz, Schneematsch, Tiefschnee, Schneetreiben, Bruchharsch, Harsch, Kunstschnee, Neuschnee, Gletscherschnee, unverspurter Schnee, festgefahrener Schnee, Schneeball, Schneedecke...das sind immerhin schon 41...





iWas die Jakuten treiben,wenn Frühsommer herrscht: sonst.https://www.youtube.com/watch?v=uYxMB_VgXiI
ii Die Liste stammt nicht von Boas, sondern aus einer moderneren Quelle: Jan Henrik Holst: Einführung in die eskimo-aleutischen Sprachen. Hamburg, 2005