Als ”1,000 Places to See Before You Die” vor zehn Jahren erschien, fiel es erst mal auf: Im Titel eine kleine Erinnerung daran, dass wir sterblich sind – eigentlich hätte man annehmen können, dass das die potentiellen Kunden abschreckt, aber angesichts der Beliebtheit von Krimis und Thriller (im Folgenden nicht „Kriller” genannt) ist das ja vielleicht gerade das Faszinosum – und gleichzeitig eine Art Fahrplan, den man abarbeiten kann, um wirklich alles gesehen zu haben (1). Dann aber die Frage: wieso eigentlich? Wie sehr ich schon immer darunter litt, vermutlich niemals in meinem Leben in die Südsee oder nach Almaty zu kommen, kann vielleicht nur der nachvollziehen, der zwar in Krasnojarsk aufgewachsen ist, aber wahrscheinlich nie in Randersacker einen Schoppen trinken wird. Und, mal ehrlich: „In einer Jurte am Sung Köl”(Zitat) - reizt Sie das? Wo Sie doch bis gerade eben noch gar nicht wussten, wo das ist (in Kirgistan nämlich).
Außerdem
ist das gar nicht der Punkt. Ich werde wahrscheinlich nie in die
Südsee kommen, das stimmt, aber ich wüßte jetzt auch nicht, was
ich da sollte, ich kenne dort ja doch niemanden Nein, das Geniale ist
doch, dass sich das Prinzip zum einen verlängern und zum anderen
übertragen läßt. Man kann also einerseits Bücher schreiben nach
dem Prinzip ”1,000 Places in America to See Before You Die”,
aber dann auch ”1,000 Places in Europe to See Before You
Die”, ”....in Japan...” (für die Japaner) und natürlich
auch „1000 Places to see before you die - Deutschland, Schweiz und
Österreich,” für uns. Das Buch selbst ist schon auf deutsch, aber
weil der Titel so halbwegs amerikanisch ist, steht auch drauf „Das
Original” (und nicht etwa ”The Original”- sonst könnte man
meinen, das ganze Buch sei amerikanisch). Es geht übrigens auch
bescheidener: Ein deutscher Konkurrent hat ein Buch verfasst, „101
deutsche Orte, die man gesehen haben muss”, und das reicht doch
auch. Jedenfalls brauche ich mich vor meinem Tod nicht so zu beeilen.
Wie
dem auch sei: es gibt von Frau Schultzens Buch wohl unzählige
Regionalausgaben „Wereld: 1000 plekken die je echt gezien moet
hebben” wie auch ”1000 sitios que ver antes de morir”, nur
leider nichts in Hindi.
„Das Original” gibt es auch in
leuchtend-orangefarbenem Leder und kostet dann $65. Oder in blau oder
pink zum selben Preis und auch aus Leder. .Frau Schultz ist übrigens
auch Mitautorin von ”Made in Italy: A Shoppers Guide to Florence,
Milan, Rome & Venice” (was sagt uns das? Nichts nichts – ich
wollt’s nur erwähnen...)
![]() |
Die Luxusausgabe in Leder |
Das
Prinzip läßt sich auch anwenden auf Produkte wie Kalender,
Reisetagebuch (das soll man dann auch noch selber schreiben!) und
natürlich eBook. Es läßt sich auch übertragen
Übrigens
hat auch das oben erwähnte Buch über die 101 deutschen Orte bereits
Nachahmungen gefunden, etwa „111 (!) Deutsche Wirtshäuser, ...”
(derselbe Autor) oder „111 Orte in Hamburg...” (andere Autorin;
sie übertreibt dann doch etwas), das irrwitzigerweise selbst nun
wiederum variiert wird: „...in München...”, „...im
Ruhrgebiet...”; wenn ich Lust habe, schreibe ich mal eins über
„111 Orte in Würzburg, die man gesehen haben muss.” Warum nicht?
„111 Deutsche Weine, die man getrunken haben muss („gesehen”
reicht hier nicht)”, und Irgendjemand hat auch „111 Kölner
Kneipen” gefunden.
Doch
zurück zu Frau Schultz: „1,000 Recipes To Try Before You Die”
(Kleiner Tipp von mir. Unbedingt Gerichte mit Knollenblätterpilzen
vermeiden („Not To Try”)! Das Buch ist übrigens offensichtlich
deutsch und hat gleich drei Autoren, von denen keine/r Schultz heißt:
verdächtig!
Ebenso
verdächtig wie naheliegend: ”1,000 Recordings to Hear Before You
Die: A Listener's Life List” - aufgemacht exakt wie das Original
von Frau Schulte. Ein ähnliches Buch, wenn auch in der Aufmachung
tatsächlich abweichend, verspricht „1001 Songs: (2) die Sie hören
sollten, bevor das Leben vorbei ist” zu sein. Bei Songs geht das ja
noch, aber Wagneropern? Das geht (und gibt’s) auch mit Alben, auch
Klassikalben und Filmen, jeweils 1001(!) und bei Filmen geht mir das
ehrich zu weit! Nur der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt,
dass es auch zum Thema „Bücher”, die wir „gelesen haben
sollten” prätumbale (3) Empfehlungen gibt (liest eigentlich noch
irgend jemand das Buch „Bildung” von diesem Schwanitz? Der wollte
uns doch auch sein Thema in übersichtlicher Form nahebringen...).
Dann gibt es „1001 Gemälde”, die wir „kennen sollten”,
„Ultimative Charthits”, gnädigerweise nur 1000 (das Buch ist
aber auch schon Anno 2000 erschienen und heißt dann im Untertitel
„Die besten Songs und ihre Geschichte” . Die kann man sich auch
nach dem Grab noch antun),
Sonst
noch im Angebot: „1001 Foods”, „Lebensmittel, die wir probieren
sollten...”(vgl. oben wg. Knolli), „Gärten” (!001, sehen),
„Weine” (1001, probieren), „Kinder- und Jugenbücher” (1001,
„Lies uns, bevor Du erwachsen bist”) oder auch: „1000 Gefühle:
für die es keinen Namen gibt” - warum der Mensch dann meint, ein
Buch darüber schreiben zu müssen, ist nicht nachvollziehbar, wenn
auch vermutlich lukrativ.
Wie
tiefgründig, wie weise und uns im Westen vielleicht nicht immer
leicht verständlich ist doch der Asiate. Zitieren wir amazon.com
(die amerikanische Mother of All Amazons) zur chinesischen Ausgabe
von – Sie erinnern sich – 1,000 Places To See Before You Die:
Fußnoten:
- "At last, a book that tells you what's beautiful, what's fun and what's just unforgettable--everywhere on earth." – Newsweek. Das muss genügen!
- Der Zeichenfehler ist übrigens von amazon.de, nicht von mir!
- „bevor das Leben vorbei ist”m von lat.: tumba, das Grab
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