Mal was über Orange.

Orange?

Donnerstag, 11. Februar 2016

Wie kann man sich den Zwerg erklären?

Das alte deutsche Wort twerch (auch zwerch) heißt quer, etwa beim Zwerchfell, das ja quer im Bauchraum liegt. Man ist mit jemandem überzwerch – wie man mancherorts* sagt – wenn man im Streit mit ihm liegt. So ist es naheliegend, beim Wort Zwerg entsprechend zu deuten: ein Zwerg ist etwas Widerspenstiges, ein renitenter Geist. Man sagt ja auch gern: Giftzwerg, wenn jemand sich unnötig aufspielt.

Ein anderes Wort für Zwerg ist der Gnom. Dies leitet sich interessanterweise vom griechischen gnomon her, dem Zeiger einer Sonnenuhr. So ein Gnomon steht halt da wie ein Zwerglein.

Pygmäen sind, auch wenn der Ausdruck heute nicht mehr politisch korrekt ist, zwergwüchsige Menschen aus Afrika. Ihre Physiognomie (-gnom-!) ist auffällig geprägt von einem Fettsteiß (das ist das Fachwort! Gleich kommt ein noch originelleres). Weil das Wort unangenehm drastisch klingt, sagt man, ein solcher Mensch ist steatopyg. Das heißt dasselbe, ist aber griechisch. Der Wortteil stea- (στέαρ) heißt 'fett' (daher Stearin – das Material, aus dem früher meist die Kerzen waren), und -pyg (πυγη) ist der 'Hintern'. Es gibt – um das Niveau ein wenig zu heben – Darstellungen der Göttin Venus, bei denen das besonders Gesäß hervorgehoben und von schöner Gestalt ist. Solche Darstellungen nennen Fachleute Venus kallipygos, d.h. 'Venus mit dem schönen Hintern', bzw. - jetzt kommt's! - die 'Prachthintrige'.

Da lag es nahe, die Pygmäen nach ihrem Gesäß als Pygmäen zu bezeichnen.

Alles insgesamt plausible Theorien, aber leider alle falsch. Wie das bei plausiblen Theorien so ist: eine ganze Menge davon stimmt, nur die Schlussfolgerung nicht.
Carl Spitzweg: Gnom, Eisenbahn  betrachtend


Ein paar Fakten, und dann die heute als wahrscheinlich akzeptierten Theorien:

  • zwerch heißt 'quer'
  • gnomon ist der Zeiger der Sonnenuhr
  • steatopyg heißt 'fettsteißig'
  • die Venus kallipygos gibt es wirklich.

"Zwerg" ist seit dem 10. Jhd. belegt, aber nicht weiter erklärbar; es gibt Entsprechungen in anderen germanischen Sprachen isl. dvergur, schwed. dvärg, norw. dverg oder dän.dværg. Und natürlich das englische dwarf. Hier stutzt man: dw- wird zu zw-, gut, mag angehen: aber der Konsonant am Schluss ist – in allen diesen Sprachen – ein -g; wo käme denn dann im Englischen das -f her? Nun, das ist gar nicht so ungewöhnlich: Man denke an cough, enough oder laugh, Wörter, die irgendwann einmal einen g-Laut am Schluss hatten, den man ja auch noch schreibt, und die alle im gesprochenen Englisch -f lauten. Das gilt offenbar nur für das Englische: ein angelsächsischer Sonderweg.

Der Zeiger der Sonnenuhr – ursprünglich wohl nur ein in die Erde gesteckter Stab – hieß tatsächlich γνώμων (gnomon). Nur hat das nichts (zumindest nichts Nachweisbares) mit einem Zwerg zu tun.
Andererseits ist die tatsächliche Herkunft des Wortes Gnom als Synonym für Zwerg ungeklärt. Paracelsus (der Alchimist und Philosoph Philippus Theophrastus Aureolus Bombastus von Hohenheim) scheint das Wort erfunden zu haben (16.Jhd). Aber es klingt griechisch, und für Paracelsus war es gleichbedeutend mit pygmaei, Pygmäen, die schon in der griechischen Antike so hießen. πυγμαῖος war ein "faustgroßer" Mensch und mythisch; das tatsächlich existierende Volk (bzw. Volksgruppen: auch das ist kompliziert) in Afrika wurde erst viel später danach benannt. Vgl. hierzu auch unseren "Däumling."

Die Bewohner von Lilliput, einer fiktiven Insel im Südmeer, sind sprichwörtlich geworden; eigentlich sind sie eine Erfindung des anglo-irischen Schriftstellers und Satirikers Jonathan Swift. der sich bei der Schilderung der Lilliputaner über die kleinlichen Zänkereien der englischen Politiker seiner Zeit belustigte. (Übrigens besucht der Erzähler des Romans, Lemuel Gulliver, noch einige andere bizarre Länder, darunter Brobdingnag, wo er der Winzling ist: ein erfrischender Perspektivwechsel!).

Und da ist natürlich Oskar Matzerath aus der Blechtrommel, der mit 3 Jahren beschließt, nicht mehr zu wachsen, was es ihm ermöglicht, die Menschen in seinem Umfeld so zu sehen, wie sie sind. Vor einem Kind demaskieren sich alle selbst.

Der wohl bekannteste kleinwüchsige Mensch unserer Tage, ist Bilbo Baggins. Zusammen mit den anderen Hobbits verkörpert er das gemütliche, un-hektische Gemüt, das, so Tolkien, der Erfinder von Middle Earth (wovon the Shire ein Teil ist) in uns allen schlummert. Bilbo ist so ungefähr der unheroischste Mensch (oder eben nicht Mensch), der denkbar ist. Und das Wort Hobbit hat Tolkien selbst erfunden. Als 2004 in Indonesien die Spuren eines bis dahin unbekannten Vormenschen entdeckt wurden, dessen auffälligstes Merkmal seine geringe Körpergröße ist, erhielt er den wissenschaftlichen Namen homo florensis (nach der Insel Flores, dem Fundort), wird aber zunehmend 'hobbit' genannt, auch in populärwissenschaftlichen Quellen.

Was aber hat das mit Zwergen zu tun? Nun, alle diese Namen – Zwerg, Gnom, Liliputaner oder Hobbit - bezeichnen Verwandte des Menschen, die uns fern sind, aber nicht völlig fremd, sonst hätte man keine Namen für sie erfinden müssen.

*Hier gehe ich nicht mit dem Duden konform, der "verschroben, mürrisch" und "übermütig" angibt. Richtiger scheint mir etwa." überquer, über Kreuz" und "unangenehm, nicht passend", etwa bei http://universal_lexikon.deacademic.com/129893/überzwerch


Exkrement nochmal!

Scheiße geht zurück auf ein indogermanisches /*skei/ mit der Bedeutung "trennen, scheiden." Es ist das gängigste Wort für "Ausscheidung, Exkrement" – eine Sache, mit der man sich buchstäblich "auseinander-setzt.°" Abgesehen von dieser Bedeutung ist das Wort eine sehr häufig gebrauchte Interjektion, ein Ausruf des äußersten Ärgers, ein Fluch, z.B. wenn etwas nicht gelingt, oder wenn man sich besonders heftig auf den Daumen gehaut hat. Wir gebrauchen das Wort so oft, dass es geradezu als Charakteristikum der Deutschen und ihrer Sprache gilt. Mögen andere Völker religiös schimpfen und fluchen – "porco dio!" "madonna!" "Jesus Christ!", wieder andere sexuell – "¡hijo de puta!" "f***ing hell" und dergleichen, greifen wir zur Fäkalsprache. Das ist natürlich etwas platt, aber es ist nicht völlig von der Hand zu weisen.

Übrigens: haben Sie's bemerkt? Bei dem eben zitierten f-word wurde die prüdere Schreibung mit Sternchen benutzt, die wiederum oft verkürzt und verschleiert als "effing" gebraucht wird, und doch weiß jedes Kind, was gemeint ist: sexual intercourse: Geschlechtsverkehr. Eigentlich völlig unsinnig! Das geht natürlich auch mit dem Wort, um das es uns geht: Sch***! Aber was soll's.

Ein zum Nachttopf umgenutzter Stahlhelm
Quelle: http://www.museumderdinge.de - überhaupt eine sehr empfehlenswerte Website!


DEGUSSA war (und ist, unter leicht verändertem Namen) die Deutsche Gold- Und Silber-Scheide-Anstalt: ein Unternehmen, das sich auf die Gewinnung (Scheidung) von reinen Edelmetallen aus vermischten Metallen spezialisiert hatte. An diesem extrem, sagen wir einmal: saubereren Beispiel erkennt man dieselbe Wortwurzel, aber wir wollen doch einmal genauer hinsehen. Der Zusammenhang zwischen faeces (das ist nun wirklich ganz vornehm für Scheiße) und Gold ist übrigens tiefenpsychologisch höchst interessant, soll aber an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden.i

Zum einen: Es ist offensichtlich, dass das englische "shit" auf dieselbe indogermanische Wurzel zurückgeht – das (englische) Wort wird in jüngster Zeit auch im Deutschen gern verwendet, meist mit derselben Bedeutung wie sein deutsches Äquivalent. Daneben haben beide Wörter einige unterschiedliche Bedeutungen. Das deutsche Wort wird dabei gern leicht modifiziert, also etwa "Scheiß" (=Unsinn), oder zusammengesetzt - "Scheißkerl" (=üble Type)"; das englische Wort bezeichnet dagegen auch Haschisch, doch in "no shit" heißt es "echt, kein Witz!"

In romanischen Sprachen ist von "merde", "merda" oder "mierda" die Rede, abgeleitet vom lateinischen"merda". "Merdam aedificavi!" heißt "da hab ich Scheiße gebaut", oder "Mist!"
Klar ist auch, dass es in fast allen Sprachen auch Synonyme gibt, gehobene wie vulgärere. Wenn der Arzt von "Stuhl" spricht, meint er oft nicht das Möbel, und der Jäger sagt "Losung", auch wenn er gerade reingetreten ist. Bei Vogelkot spricht der Jäger von "Geschmeiß" oder "Gestüber", aber auch wir kennen unterschiedliche Bezeichnungen für tierische Hinterlassenschaften, etwa "Kuhfladen", "Pferdeäpfel", "Hundehaufen", oder etwas allgemeiner "Mist" oder "Dung."° Oder, ganz allgemein und menschliche Fäkalien eingeschlossen, "Kot."°°
Im Gespräch mit kleinen Kinder ist oft von Kacka oder A'a die Rede; ersteres gibt es auch in der Erwachsenenform: "Kacke." Im Englischen spricht man gelegentlich von "crap" oder "turd", aber man gewinnt tatsächlich den Eindruck, dass Deutsch in dieser Beziehung erheblich kreativer ist als viele andere Sprachen.

Mediziner sprechen von "faeces" und wir auch, wenn von "Fäkalien" die Rede ist. An sich bedeutet das Wort "Bodensatz, Abschaum" – auch im übertragenen Sinn. Manchmal wird es moralisch: «Inter faeces et urinam nascimur» – 'zwischen Fäkalien und Urin erblicken wir das Licht der Welt'. Das Zitat stammt vom Kirchenvater Augustinus – was er damit gemeint hat, soll sich jeder selbst überlegen.

κόπρος (kopros) heißt merda auf griechisch; ein Koprolith etwa ist versteinerter Kot. Von kopros und kithos (Stein) – es gibt nichts, womit sich die Wissenschaft nicht befasst! (Befasst sie sich mit Kot, nennt sie sich Skatologie oder Koprologie). Bevor mich jetzt jemand der Koprolalie beschuldigt, höre ich besser auf. Denn das ist, laut Duden, die "krankhafte Neigung zum Aussprechen unanständiger, obszöner Wörter (meist aus dem analen Bereich)."

Dennoch: Ein Literaturtip muss sein:

Werner Holzwarth (Text) und Wolf Erlbruch (Bilder),
Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat. ISBN: 3779505037

Wer es noch nicht kennt, besorge es sich morgen!

Ach ja, noch was:
Der 19. November ist seit 2013 offizieller (von der UNO anerkannter) World Toilet Day. Die Begründung: More people in the world have a mobile phone than a toilet.
Dem ist nichts hinzuzufügen!

° Angeblich staunt der Rest der Welt über die in Deutschland immer noch weit verbreiteten Flachspüler-Toiletten, die eine Inspektion des Endprodukts zulassen, bevor gespült wird. Sooo genau wollen es die meisten gar nicht wissen. In ihrem 1974 erschienen Roman Fear of Flying belustigt sich die amerikanische Autorin Erica Jong über die "carefully contrived facade to intimidate foreigners with Germany's agressive wholesomeness." [die sorgfältig errichtete Fassade, um Fremde mit dem aggressiven deutschen Gesundheitsfimmel einzuschüchtern]
iWeil es aber gar so interessant ist, folgt demnächst mehr!
°What comes out of a cow and sounds like a bell? - Dung. (Spike Milligan)
°° Obwohl das Wort eher "Dreck" bedeutet, siehe "Kotflügel."