Erst
freut man sich wohl über die wortspielenden Briefmarken: Marx und
Lenin, nein, Lennon! Und Marx ist hier auch Groucho und nicht Karl.
Wie lustig! Wer bringt so etwas als Briefmarke heraus? Das, was auf
den ersten Blick wie Russisch aussieht, ist irgendwie auch anders,
aber – da steht's ja auch auf Englisch. Republic of Abkhazia (dann
auf Deutsch wohl 'Abchasien').
Was ist
denn das nun wieder? Nun, um es kurz zu machen: Abchasien ist der
westlichste Teil von Georgien, der aus komplizierten Gründen
(geschichtlicher Art) glaubt, kulturell und überhaupt eben nicht
Georgien zu sein, sondern eigenständig. Völkerrechtlich ist es das
nicht, und nur sechs Staaten erkennen Abchasien überhaupt an,
darunter so mächtige Nationen wie das Südsee-Inselchen Nauru oder
das Inselreich Vanuatu (aber auch, das sei zugegeben, Russland. Putin
wird schon wissen, warum).
Wirtschaftlich hängt das Land völlig von Russland ab; ein Versuch, sich eine eigene Einkommensquelle zu erschließen, scheinen Briefmarken zu sein, von denen einige originell genug sind, um sich auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Andere "Winz"-Staaten praktizieren so etwas schon sein Jahrzehnten: Man denke etwa an San Marino.
Eine Landkarte ohne großen Wert (Abchasien) |
Lennon
ist irisch und bedeutet (abgeleitet von O'Lennain oder Leannán oder
Lonain – was Schreibweisen angeht, war man früher viel
unbekümmerter; das gilt, dünkt mich, für das Irische ganz
besonders) vermutlich in irgend einer Form 'Sohn des Lónan' ergo:
'Amsel';
nach anderen Quellen könnte es auch 'Liebhaber' heißen. Genaues weiß man also nicht. Bekannte Iren dieses Namens:
die Lennons of Fermanagh.
Natürlich
spielt die Briefmarke auf Lenin an. Der historische hieß ja Владимир
Ильич Ульянов, und Lenin ist ein Pseudonym, buchstäblich
ein nom de guerre,
vermutlich abgeleitet vom sibirischen Fluss dieses Namens. Laut
Wikipedia benutzte er noch andere Namen, wie etwa Meier, Frei und
Peterburzhets.
Marx –
ein Name, der erstaunlich schwer online zu recherchieren ist. Die
meisten Web-Adressen, die sich mit (Nach-) Namen beschäftigen, sind
interessiert an Genealogie, also Ahnenforschung, und weniger an der
Bedeutung von Namen. So bekommt man relativ oft Karten, die die
Verbreitung von Nachnamen zeigen sollen (was die wahren Verhältnisse
meist stark verzerrt), lange Listen über die Beliebtheit von Namen –
jetzt fehlt nur noch ein Ranking nach dem Motto "Die
effektivsten Nachnamen Deutschlands" -; wenigstens eine Website
will mir beweisen, dass Namen unser Leben bestimmen usw. Fast will
es scheinen, als ob keiner was genaues wüsste.
deutsche-nachnamen.de fragt mich tatsächlich "Meinten Sie Mars?" Nein, meinte ich nicht.
deutsche-nachnamen.de fragt mich tatsächlich "Meinten Sie Mars?" Nein, meinte ich nicht.
Man
wundert sich: Karl aus Aachen hieß Marx, und eine ganze Ideologie
wurde nach ihm benannt. Reicht das nicht? Oder: Groucho, Harpo, Chico
und Zeppo drehten über ein Dutzend Filme. Aber keiner weiß, wo der
Name herkommt? Gut, die Filme waren eher albern, aber reicht das für
ein "Es konnten keine
Suchergebnisse (auf Deutsch) für „marx“ gefunden werden!"?
(das "auf
Deutsch" ist übrigens eine arge
Hochstapelei, denn andere Optionen kennt die Site nicht.
freie Bearbeitung des Wappens von Wolhynien |
Also,
vorläufiges Fazit: Genealogie per Internet ist eine seltsam
ungenaue, oft irreführende Angelegenheit. Zumindest gilt das für
die Websites, die ich konsultierte. Letztlich landet man tatsächlich
wieder bei – Wikipedia
(http://de.wikipedia.org/wiki/Marx_(Familienname)).
Dieser Quelle nach ist der Name eine alternative Schreibweise zu
Markus (so erklärt sich ja auch der merkwürdig anmutende Name eines
ehemaligen Klosters in Würzburg: "St.Marx".
Aber mal unter uns: Sowohl die Marx Bros. als auch Karl Marx waren Juden – im Falle von Karl 'jüdischer Abstammung', und das will mit einem christlichen Kloster nicht recht zusammengehen.
Aber mal unter uns: Sowohl die Marx Bros. als auch Karl Marx waren Juden – im Falle von Karl 'jüdischer Abstammung', und das will mit einem christlichen Kloster nicht recht zusammengehen.
Das
muss aber auch nicht sein: Als jüdischer Name ist dies, so
Wikipedia, ein "Ersatzname für Mordechai." Wieso man für
Mordechai einen Ersatznamen braucht? Könnte sein, dass Mordechai zu
offensichtlich jüdisch klingt? Das klingt interessant, doch führt
es hier zu weit weg von der Briefmarke und Abchasien. Der Leser möge
selbst recherchieren.
A
propos Winz-Staaten: Es gibt eine ganze Reihe von Territorien, die das
Schicksal von Abchasien teilen. Man will sich vom 'Mutterland'
lossagen, oder hat sich bereits losgesagt, und keiner glaubt einem.
Niemand interessiert es, dass man eine alte Kulturnation ist,
irgendwann einmal ein selbständiges Fürstentum war (wie Monaco, San
Marino oder Liechtenstein es heute noch sind) und dass man überhaupt
Freiheit über alles liebt, wie diverse patriotische Gesänge aus
verstaubten Jahrhunderten beweisen. Ja, die Sprache des Landes ist so
alt, dass sie inzwischen kaum noch jemand versteht – und was
dergleichen Argumente noch mehr sind.
sic transit gloria mundi: So vergeht der Ruhm der Welt |
Und?
haben diese Völker nicht auch das Recht auf Selbstbestimmung? Ist
die Größe eines Landes wichtig? (Warum gibt es dann Nauru?). Ist es
der Reichtum an Bodenschätzen, oder werden solche Mikro-Nationen von
den mächtigeren Völkern als Schachfiguren benutzt? Einfach nur Pech
gehabt?
Die
Antwort liegt auf der Hand: Ja.
Nationen,
die vom Zerfall der Sowjetunion übrig geblieben sind:
Süd-Ossetien, Berg Karabach, Transnistrien
Süd-Ossetien, Berg Karabach, Transnistrien
Nationen,
von denen einige der eben erwähnten Nicht-Staaten abgefallen sind,
die selbst aus dem Zerfall der o.g. Sowjetunion resultieren, aber
mehr Glück hatten und international anerkannt sind:
Georgien,
Moldawien, Aserbeidschan
Nationen,
die es (noch) nicht geschafft haben, den Status als Kolonie
abzuschütteln:
Sahara,
Somaliland, Punt, West-Neuguinea,
Nationen,
die bis auf weiteres von anderen kontrolliert werden
West-Neuguinea
("Iryan Jaya"), Palästina, Wa, Tibet
Nationen,
die einmal jemand waren, was aber heute keine Rolle spielt:
Königreiche
wie Burgund, Böhmen oder Bayern, Zarenreiche wie Bulgarien,
das Khanat der Krim, der Kirchenstaat, die Walachei, Galizien oder das
Fürstentum Halytsch-Wolodymyr.
das Khanat der Krim, der Kirchenstaat, die Walachei, Galizien oder das
Fürstentum Halytsch-Wolodymyr.
Die
Liste ist endlos, sinnlos, aber reizvoll.
Es gibt
im Englischen eine Redewendung: "There, but for the grace of
God [go I]" soll jemand beim Anblick von zum Tode
Verurteilten gesagt haben, die auf dem Weg zur Hinrichtung waren; "wäre Gott mir nicht gnädig gewesen, wäre ich einer von
diesen"1
Im Falle von Nationen, Völkern und freiheitsliebenden Ethnien ist
Gott oft auch gnädig und lässt sie am Tisch der Nationen Platz
nehmen. Manchmal lacht er dann und schickt sie wieder fort...
1Hier
streikt übrigens ausnahmsweise auch Linguee:
[...] nach Hause; und
als ich sah, daß die arme Katze, die beseitigt wurde, ich, aber für die Anmut des Gottes, gehen I." dachte,
also könnte Himmel eine bessere Lebensdauer sein
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