יצחק
באַשעוויס זינגער":
men fregt mich oft, far wos schrejbste in yiddish? Un ich wel gebn
ojf die frage an entfer, un mein entfer wet sejn a yiddish lache, des
heisst ich will entfern oif a frage mit a frage: Der entfer is –
was will ich nicht schreibn ojf yiddish?"
"In
a figurative way, Yiddish is the wise and humble language of us all,
the idiom of frightened and hopeful Humanity."
[Izhak
Bashevis Singer, aus der Nobelpreisrede 1978]
1.
Antike:
Die
doppelte Definition der Juden als Ethnie (Volk) und als
Glaubensgemeinschaft macht es oft nicht einfach, zu sagen, was eine
Jüdin bzw. ein Jude eigentlich ist. So ist es auch ausnehmend
schwierig, die Anfänge des Judentums einzugrenzen. Neuere
Forschungen haben gezeigt, dass die heiligen Schriften des Judentums
(die dem Alten Testament entsprechen), der Tanach, erst im 5.
Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung Gestalt annahmen. Das gilt auch
für den wichtigsten Teil, die Tora. Das identitätsstiftende
Babylonische Exil begann 597. Es scheint sinnvoll, die Geschichte des
Judentums nicht allzu viel weiter in die Vergangenheit zu verlegen:
Vorher waren die Juden eine zufällige Ansammlung von semitischen Hirtenstämmen mit unterschiedlichen Stammesgottheiten,
Diese Menschen sprachen mehrere eng verwandte Sprachen, nämlich (neben
Nabatäisch und Samaritanisch) vor allem Hebräisch und Aramäisch,
zwei Sprachen, die noch weit über die biblische Zeit hinaus im
(später so genannten) Palästina gesprochen werden. Es ist
interessant, dass die Epoche des Alten Testaments, vor allem aber die
des Neuen Testaments, parallel zum Hellenismus stattfand; das Neue
Testament ist daher auch in Griechisch verfasst. Dennoch: was die
biblischen „Väter” (und Mütter?) gesprochen haben, war
Hebräisch und Aramäisch. Letzteres ist übrigens die Sprache, die
Jesus offenbar gesprochen hat; „Eli eli, lama sabachthani”, „Mein
Gott, warum hast du mich verlassen?” ist Aramäisch.
2,
Diaspora
Als der babylonische Künig
Nebukadnezar ab 597 v.u.Z. die von den Juden bewohnten Lande
eroberte, wurden viele Juden, vor allem aus der Oberschicht, nach Babylon
verschleppt. Die Bibel berichtet verständlicherweise etwas
tendenziös von der „Babylonischen Gefangenschaft”, die so
schlimm nicht gewesen sein dürfte. Aber: so begann das sonderbare
Schicksal der Juden, wesentliche Teile ihrer Geschichte „verstreut
unter den Völkern” (5 Mose 28) zubringen zu müssen. Man nennt die
Fremde, in der sie lebten, Diaspora. Dieser Zustand endete mit der
Gründung am 5. Ijjar 5708 (nach dem jüdischen Kalender; nach unserem 14. Mai 1948 ) von Medīnat Yisrā'el,
dem Staat Israel, durch die Zionisten. Doch leben viele Juden auch
außerhalb dieses Staates, und nicht alle sind mit seiner Politik
eiverstanden. In gewissem Sinn leben viele Juden auch heute noch in
der Diaspora.
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Chagall, Rabbiner (Ausschnitt) |
Sprachlich gesehen ist die Situation
uneinheitlich; je nachdem, wo die jüdische Minderheit lebte, und wie
sie toleriert wurde, dürfte sich die Sprache unterschiedlich
entwickelt haben, derer sie sich bediente. Als besonderes Volk, ja
als auserwähltes, und wegen des Beharrens auf eigene Lebensweisen,
Sitten und Rituale und natürlich auf den eigenen Glauben wurden sie
oft angefeindet. Dem Umstand, dass sie anders lebten, begegnete man
mit Misstrauen, und oft waren sie bestenfalls geduldet. Dem war nicht
immer so: Es gab auch Momente in ihrer bewegten Geschichte, in denen
sie angenommen und als Nachbarn geachtet wurden, etwa in Baghdad im
neunten Jahrhundert, in Córdoba im zehnten. oder in den Vereinigten
Niederlanden im 17. Jahrhundert. Meistens jedoch war der Frieden
heikel und die Tolerierung an Sondersteuern gebunden. Pogrome (also
Massaker) an der jüdischen Minderheit wiederholten sich immer
wieder, und den Juden blieb vielfach nur die Flucht.
3.
Vertreibungen
Die
ersten Pogrome in (West)Europa standen im Zusammenhang mit den
Kreuzzügen, die sich zwar vor allem gegen die (muslimischen)
Sarazenen richteten, aber jüdische Gemeinden in vielen Teilen auch
Deutschlands in blutige Mitleidenschaft zogen. Hirngespinste wie
Hostienfrevel oder Brunnenvergiftungen oder Ritualmorde wurden ihnen
nachgesagt, und der Mord an „unserem Herrn Jesu” sowieso. Die
Juden Deutschlands brachten sich in Sicherheit, und die glaubte man
im noch dünn besiedelten Osteuropa zu finden. Sie brachten mit sich:
die deutsche Sprache. Ein einzigartiger Fall von Sprachvermischung
brachte das Jiddische hervor. Die Wurzel, mithin die grammatische
Struktur, blieb im Wesentlichen deutsch, aber vermischt mit einzelnen
hebräischen Worten (wie man sie beim Studium etwa des Talmud fand
und benutzte: die Sprache der Synagogen). Dazu kamen Wörter aus dem
Polnischen, dem Russischen und anderen osteuropäischen Sprachen. Das
Jiddische wirde zur familiären
Umgangssprache, die eigentliche Muttersprache, oder, wi men sogt oif
Jiddisch, die Mameloschn. Da man sie mit der (einem Juden aus dem
Talmudstudien in der Jeschiwe vertrauten) hebräischen Quadratschrift
und von rechts nach links schrieb, sieht sie exotischer aus als sie
ist. ײדיש
יז גאר ניט שײעך -
Jiddisch is gor nischt asoi schwer!
Als die Reyes Católicos (Ferdinand
und Isabella) im Zuge der Reconquista, der Zurückeroberung Spaniens
ab den 1480ern, alles vertrieben, was sich nicht christlich nannte,
betraf das natürlich und zuallererst die Juden. Diese flohen vor
allem in städtische Zentren im Mittelmeerraum (Osmanisches Reich!)
und darüber hinaus: nach Istanbul, Izmir, Jerusalem und Beirut, nach
Livorno,
aber auch nach Bordeaux, Amsterdam und Hamburg. Man nannte sie
Sephardim, und unter ihren Nachkommen finden sich einige illustre
Namen: der Aufklärer Moses Maimonides, Baruch Spinoza und Jacques
Derrida, beide Philosophen, der britische Premier Benjamin Disraeli,
oder der Schriftsteller Elias Canetti.
Ihre Sprache war das Ladino, das
manchmal auch „Judenspanisch” heißt, so wie Jiddisch das
„Judendeutsch” ist. Die Grundlage ist hier Spanisch und z.T.
Katalanisch und Portugiesisch, durchsetzt mit hebräischen begriffen
und – das ist vielleicht ein größerer Unterschied zu Jiddisch –
mit mehr gemischten Formen, d. h. spanische Wörter mit hebräischen
Prä- und Suffixen (Flexionsendungen usw.) und deutlicheren
grammatischen Einflüssen. Obendrein und angesichts der Umstände naheliegenderweise: voller Arabismen. Und wie
Jiddisch wird es gewöhnlich mit „hebräischen” Buchstaben
geschrieben. Viele der Sephardim waren Kaufleute, und ihr Ladino
beeinflusste oft andere, mit denen sie Handel trieben. Trotzdem: auf
lange Sicht gesehen, konnte Ladino nicht überleben, und gegen Anfang
des 20. Jahrhunderts schwand es dahin.
Es gab also das Judentum im Osten, im heutigen Polen, in der Ukraine, in Weißrussland oder im Zarenreich. Die Mehrzahl dieser Menschen lebte auf dem Lande, im Schtetl, ein Leben von naiver Frömmigkeit. Daneben gab es aber auch Juden, die gesellschaftlich mehr oder weniger integriert waren und die sich in erster Linie als Deutsche, Franzosen oder was auch immer fühlten und die auch nicht, oder sehr wenig, Jiddisch sprachen. Das - die Juden der Schtetls wie auch die integrierteren Glaubensgenossen - waren die Aschkenasim. Im Unterschied dazu gab es, vor allem in den orientalischen Metropolen, aber auch in Orten wie Hamburg oder (besonders) Amsterdam die Juden, die (oder deren Vofahren) aus SPanien vertrieben worden waren: die Sephardim.
Sonderfall: Chasaren. Die Chasaren
waren ein Steppenvolk, das u.a. den westlichen Teil der Seidenstraße
kontrollierte und an der Kreuzung zwischen Orient und Okzident
siedelte, nördlich des Kaspischen Meeres. Gegen Ende des 8.
Jahrhunderts traten Herrscher und Adel und wohl auch, wie man heute
zu wissen glaubt, weite Teile der Bevölkerung zum Judentum über. Da
die Chasaren ihre Sprache, eine Turksprache, beibehielten, und da das
Reich der Chasaren ohnehin zwei Jahrhunderte später von den Kiewer
Rus (den Vorfahren der Russen) gewaltsam bezwungen wurde, ist dieses historisch so ziemlich
einzigartige Ereignis hier nicht weiter von Belang.
4.
Medinat Jisra’el:
Mit
der Gründung des Staates Israel; Medinat Jisra’el, erfüllte sich
der Traum vieler Juden: wieder zurückzukehren ins Land der Väter.
Die Bewegung, die unter den Juden der Diaspora darauf hinarbeitete,
dies möglich zu machen, nannte man Zionismus, und der Hinweis
darauf, dass die Väter vor bereits mehr als zweitausend Jahren in
eben diesem Land gelebt hatten und mithin der Anspruch etwas weit
hergeholt schien, wurde von den Zionisten nicht gerne gehört. Als
der britische Außenminister A. J. Balfour den Juden der Welt eine
Heimat versprach (in der spg. „Balfour-Declaration” von 1917),
tat er das aus politichen Gründen. und es war ein fragwürdiges
Signal. Denn es war beileibe nicht jeder Jude in der Diaspora ein
Zionist; viele fühlten sich in dem Land, in dem sie lebten, recht
wohl, und sie hätten um nichts in der Welt in die vorderasiatische
Halbwüste „zurück”-gewollt. Die Auseinandersetzung um Palästina
und das Heimatrecht der verschiedenen Völker, die dort leben, wird
wahrscheinlich noch lange andauern.
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Klezmer-Musikanten |
Israel
wurde hier aber aus einem anderen Grund erwähnt, und zwar, weil dort
etwas geschah, das Seltenheitswert hat. Mir ist kein anderer Fall
dieser Größemordnung bekannt: Eine Sprache, die bereits tot war –
oder, genau genommen, die zwar Gott verstand, aber kein Mensch mehr
sprach, nämlich das Hebräisch der Torah, des Talmud und der
Mischnah, die heilige Sprache der Juden, wie sie in der Synagoge
feirlich gebraqucht wurde, aber sonst nirgends – diese Sprache
wurde wieder zm Leben erweckt. Erfolgreich! Man kann in dieser
Sprache Vorträge halten, verliebt flüstern, ordinär sein, Slang
benutzen und sogar fluchen. Das ist ein kleines Wunder. Nur heißt
sie nicht mehr Hebräisch – man nennt sie Iwrit.
5.
Di goldene medine
Man
könnte jetzt meinen, wir wären wieder am Anfang angelangt: Man
spricht wieder die Sprache der Väter, und zwar im Land der Väter,
und Israel ist ein großartig junges, dynamisches Land. Und doch sei
noch angemerkt:
Es
gibt gute Gründe, mit der Politik des Staates Israel nicht
einverstanden zu sein, vor allem nicht mit der sogenannnten
Siedlungspolitik.
Iwrit
ist Amtssprache in Israel, eine junge Generation ist damit
augewachsen. Das ist gut. Die andere Amtssprache ist Arabisch, und
auch hier gibt es eine junge Generation. Auch das ist gut. Nur: Sie
haben noch nicht geleern, einander gelten zu lassen. Ungut!
Die
unter den Juden der Welt meistgesprochene Sprache ist – Englisch,
Denn allein schon in Amerika (Amerike: di goldene medine / das „goldene”
Land) gibt es praktisch so viele Juden wie in Israel.
Und
nur in Amerika spricht eine nennenswerte Anzahl von Menschen noch
Jiddisch.
Selbst
die Art, wie Yiddish wet geshribn is gemakht gevorn Americanish.