Das alte deutsche
Wort twerch (auch zwerch) heißt quer, etwa beim Zwerchfell, das ja
quer im Bauchraum liegt. Man ist mit jemandem überzwerch – wie man
mancherorts*
sagt – wenn man im Streit mit ihm liegt. So ist es naheliegend,
beim Wort Zwerg entsprechend zu deuten: ein Zwerg ist etwas
Widerspenstiges, ein renitenter Geist. Man sagt ja auch gern:
Giftzwerg, wenn jemand sich unnötig aufspielt.
Ein anderes Wort für
Zwerg ist der Gnom. Dies leitet sich interessanterweise vom
griechischen gnomon her, dem Zeiger einer Sonnenuhr. So ein Gnomon
steht halt da wie ein Zwerglein.
Pygmäen sind, auch
wenn der Ausdruck heute nicht mehr politisch korrekt ist,
zwergwüchsige Menschen aus Afrika. Ihre Physiognomie (-gnom-!) ist
auffällig geprägt von einem Fettsteiß (das ist das Fachwort!
Gleich kommt ein noch originelleres). Weil das Wort unangenehm
drastisch klingt, sagt man, ein solcher Mensch ist steatopyg. Das
heißt dasselbe, ist aber griechisch. Der Wortteil stea-
(στέαρ) heißt 'fett' (daher Stearin – das Material,
aus dem früher meist die Kerzen waren), und -pyg (πυγη)
ist der 'Hintern'. Es gibt – um das Niveau ein wenig
zu heben – Darstellungen der Göttin Venus, bei denen das besonders
Gesäß hervorgehoben und von schöner Gestalt ist. Solche
Darstellungen nennen Fachleute Venus kallipygos, d.h. 'Venus
mit dem schönen Hintern', bzw. - jetzt kommt's! - die
'Prachthintrige'.
Da lag es nahe, die
Pygmäen nach ihrem Gesäß als Pygmäen zu bezeichnen.
Alles insgesamt
plausible Theorien, aber leider alle falsch. Wie das bei plausiblen
Theorien so ist: eine ganze Menge davon stimmt, nur die
Schlussfolgerung nicht.
Carl Spitzweg: Gnom, Eisenbahn betrachtend |
Ein paar Fakten, und
dann die heute als wahrscheinlich akzeptierten Theorien:
- zwerch heißt 'quer'
- gnomon ist der Zeiger der Sonnenuhr
- steatopyg heißt 'fettsteißig'
- die Venus kallipygos gibt es wirklich.
"Zwerg"
ist seit dem 10. Jhd. belegt, aber nicht weiter erklärbar; es gibt
Entsprechungen in anderen germanischen Sprachen isl. dvergur,
schwed. dvärg, norw. dverg oder dän.dværg.
Und natürlich das englische dwarf. Hier stutzt man: dw- wird
zu zw-, gut, mag angehen: aber der Konsonant am Schluss ist – in
allen diesen Sprachen – ein -g; wo käme denn dann im Englischen
das -f her? Nun, das ist gar nicht so ungewöhnlich: Man denke an
cough, enough oder laugh, Wörter, die irgendwann
einmal einen g-Laut am Schluss hatten, den man ja auch noch
schreibt, und die alle im gesprochenen Englisch -f lauten. Das gilt
offenbar nur für das Englische: ein angelsächsischer Sonderweg.
Der Zeiger der
Sonnenuhr – ursprünglich wohl nur ein in die Erde gesteckter Stab
– hieß tatsächlich γνώμων (gnomon). Nur hat das nichts
(zumindest nichts Nachweisbares) mit einem Zwerg zu tun.
Andererseits ist die
tatsächliche Herkunft des Wortes Gnom als Synonym für Zwerg
ungeklärt. Paracelsus (der Alchimist und Philosoph Philippus
Theophrastus Aureolus Bombastus von Hohenheim) scheint das Wort
erfunden zu haben (16.Jhd). Aber es klingt griechisch, und für
Paracelsus war es gleichbedeutend mit pygmaei, Pygmäen, die
schon in der griechischen Antike so hießen. πυγμαῖος
war ein "faustgroßer" Mensch und mythisch; das tatsächlich
existierende Volk (bzw. Volksgruppen: auch das ist kompliziert) in
Afrika wurde erst viel später danach benannt. Vgl. hierzu auch
unseren "Däumling."
Die Bewohner von
Lilliput, einer fiktiven Insel im Südmeer, sind sprichwörtlich
geworden; eigentlich sind sie eine Erfindung des anglo-irischen
Schriftstellers und Satirikers Jonathan Swift. der sich bei der
Schilderung der Lilliputaner über die kleinlichen Zänkereien der
englischen Politiker seiner Zeit belustigte. (Übrigens besucht der
Erzähler des Romans, Lemuel Gulliver, noch einige andere bizarre
Länder, darunter Brobdingnag, wo er der Winzling ist: ein
erfrischender Perspektivwechsel!).
Und da ist natürlich
Oskar Matzerath aus der Blechtrommel, der mit 3 Jahren beschließt,
nicht mehr zu wachsen, was es ihm ermöglicht, die Menschen in seinem
Umfeld so zu sehen, wie sie sind. Vor einem Kind demaskieren sich
alle selbst.
Der wohl bekannteste
kleinwüchsige Mensch unserer Tage, ist Bilbo Baggins. Zusammen mit
den anderen Hobbits verkörpert er das gemütliche, un-hektische
Gemüt, das, so Tolkien, der Erfinder von Middle Earth (wovon
the Shire ein Teil ist) in uns allen schlummert. Bilbo ist so
ungefähr der unheroischste Mensch (oder eben nicht Mensch), der
denkbar ist. Und das Wort Hobbit hat Tolkien selbst erfunden. Als
2004 in Indonesien die Spuren eines bis dahin unbekannten Vormenschen
entdeckt wurden, dessen auffälligstes Merkmal seine geringe
Körpergröße ist, erhielt er den wissenschaftlichen Namen homo
florensis (nach der Insel Flores, dem Fundort), wird aber
zunehmend 'hobbit' genannt, auch in populärwissenschaftlichen
Quellen.
Was aber hat das mit
Zwergen zu tun? Nun, alle diese Namen – Zwerg, Gnom, Liliputaner
oder Hobbit - bezeichnen Verwandte des Menschen, die uns fern sind,
aber nicht völlig fremd, sonst hätte man keine Namen für sie
erfinden müssen.
*Hier
gehe ich nicht mit dem Duden konform, der "verschroben,
mürrisch" und "übermütig" angibt. Richtiger
scheint mir etwa." überquer, über Kreuz" und
"unangenehm, nicht passend", etwa bei
http://universal_lexikon.deacademic.com/129893/überzwerch
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