Was ist, und zu
welchem Ende studiert man SF? (um einmal Schilleri
zu paraphrasieren).
Zunächst einmal ist
Science-Fiction (die in der Überschrift verwendete
Zusammenschreibung erlaubt der Duden zwar auch, erklärt aber nicht,
wieso. Kein vernünftiger Mensch, geschweige denn hardcore-SF-Fans
wäre auf sowas gekommen) ein irritierender Begriff. SF ist weder
Wissenschaft, noch hat sie diese zum Thema. Wenigstens nicht
vorwiegend.
Im deutschen
Sprachraum nannte man sie "utopische Romaneii"
oder dann auch "Zukunftsromane": Erzählungen von der
Wissenschaft (und Technik), in einer Welt von morgen.
Die Zukunft würde
ganz anders sein, und dies war primär durch Fortschritt in
Wissenschaft (und Technik – das ging immer Hand in Hand) begründet.
Daher handelte das, was man später Science Fiction nennen sollte,
von einer von wissenschaftlichen Erkenntnissen organisierten und von
Technik gestalteten Welt, wie wir sie uns kaum vorzustellen wagten.
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Die Zukunft, wie sie (fast) jeder kennt: Fritz Langs Metropolis |
Die Welt wäre ganz
anders. Klar, sonst lohnte sich die Zukunft ja gar nicht. Auffällig
ist ja, dass die SF im heutigen Sinn sich ab der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts entwickelte, als eben die Technik dabei war, die
Lebenswelt der Menschen (und die Wissenschaft ihren Horizont)
gründlich zu verändern. Man extrapolierte lediglich das
Offensichtliche in die (nicht immer weit entfernte) Zukunft. Das war
zunächst Aufregung genug.
Interessant ist
dabei, dass selbst scheinbar geniale "Zukunftsromane" –
gönnen wir uns dieses Wort doch noch einmal – eines fast nie
vorausahnten: die explosive Entwicklung des Individualverkehrs.
Letztlich ist keine technische Entwicklung der letzten anderthalb
Jahrhunderte so folgenreich gewesen wie das Auto – in technischer,
politischer wie ökonomischer und psychologischer Hinsicht. Aber auch
ein Jules Verne ahnte nicht, was da auf die Menschheit zukam.
"Technik"
heißt in diesem Zusammenhang: Raketen, Roboter, Elektronengehirne
und überlegene Waffentechnik. Spielt man einmal durch, welche
Veränderungen diese bewirken können, stößt man – zumindest in
der anspruchsvolleren Literatur – sehr bald auf die Frage, was sie
mit dem Menschen, seiner Moral und seinem Verhalten anstellen. Bei
Raketeniii
und bei Robotern kann man vielleicht vermuten, dass erstere Reisen in
faszinierende andere Welten ermöglichen, und dass letztere dem
Menschen willfährige Sklaven sein könnten. Aber überlegene
Waffentechnik? Gegen wen? Und die Elektronengehirne (heute
"Computer") sind doch sicher nur ein willkommenes Werkzeug,
oder?
Letztlich stellt
literarische SF fast immer, explizit oder implizit, die Frage nach
der Gesellschaft und nach der Rolle, die sie dem Einzelnen zukommen
lässt. Im einfachsten Fall, bei der hard SF, in der
die Menschheit endlich in die Tiefen des Weltraums vordringt, stößt
sie dabei irgendwann auf andere vernunftbegabte Lebewesen, sogenannte
aliens. space wars werden ausgetragen: space
operas. Das allein trägt nicht (und seit der Mensch auf dem Mond
war, klingt das geradezu unspannend): Auf die aliens kann man
reagieren, indem man Bündnisse mit ihnen eingeht, selbst mit
Klingonen, oder, was wahrscheinlicher ist, indem man sie vernichtet.
Man hat ja die überlegeneren Waffen. Das führt dann gelegentlich zu
megalomanen Träumereien à la Perry Rhodaniv,
und in die Abgründe des Kitsches.
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Alien? (Libelle!) |
Weil wir gerade vom
Kitsch reden: Das, was die meisten Menschen heute unter SF verstehen,
stammt aus dem Kino oder vom TV: Serien wie Startrek
("Raumschiff Enterprise") oder Filme wie Star
Wars, Independence Day oder War of the Worlds
sind vor allem eins: Orgien von special
effects, bei denen nicht die Handlung wichtig ist, sondern das
Krachen, Blitzen und Wummern in Dolby digital. Was übrigens völliger
Quatsch ist, denn da das All keine Atmosphäre hat, können sich auch
keine Schallwellen ausbreiten; der echte Krieg der Sterne spielte
sich in völliger Stille ab!
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War of the Worlds Wieder einmal der Weltuntergang... |
Bei vielen Menschen
steht SF also für triviale, oberflächliche Unterhaltung und nicht
viel mehr. Wie bei vielen anderen Genres auch (Kriminalfilme zum
Beispiel haben ebenso oft kaum Tiefgang, und Historienfilme sind oft
Schnulzen, und fast alle Western sind historisch eher fragwürdig)
gibt es gute und schlechte SF.
Oder, wie Kingsley Amis es
ausdrückte:
SF's no good, they
bellow till they're deaf
And if it's good,
why, then it's not SF
- etwa: wenn's gut
ist, kann's keine SF sein!
Roboterv
(das Wort stammt aus dem Tschechischen und ist abgeleitet von robota,
"Arbeit, Fron") sind ein Konzept: Maschinen (im weitesten
Sinn), die uns dienen und für uns arbeiten. Es gibt sie schon, aber
nicht halb so perfekt, wie sich das die Menschheit erträumt hatte.
Noch nicht. Immerhin gibt es bereits etwas wie die Three Laws of
Robotics, erfunden von dem amerikanischen SF-Autor Isaac Asimov.
Die drei Gebote für Roboter sind: 1) Du darfst keinen Menschen
töten; 2) Du must dem Menschen gehorchen (außer, wenn du gegen
Gebot 1 verlstoßen würdest), und 3) Du musst überleben (es sei
denn, du verstößt dabei gegen Gebote 1 oder 2). So könnte man
Roboter programmieren und dann relativ bedenkenlos in den Dienst
nehmen. Vielleicht sollte man jedoch noch ein Gebot einführen, auch
wenn es kompliziert wird: 4) Du sollst nicht anfangen, selbst denken
zu wollen. Das ist das Problem der artificial intelligence (AI),
der künstlichen Intelligenz.
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"We come in peace" Aus dem Film The Day the Earth Stood Still |
A propos Computer:
wissen Sie, was ein bot ist? Ein zu autonomem Verhalten
fähiger Software-Agent (im Sinne von "Handelnder"), ein
Roboter, der ein Stück Software ist. Gruselig, oder Brave New
World? (A. Huxleys "Schöne neue Welt" von 1932).
Überhaupt: Wie wird
sie aussehen, die schöne neue Welt? Wird es die ideale Welt sein,
ein Paradies für alle? Oder etwas, das vielleicht schlimmer ist als
alles bisher Dagewesene? Die ideale Welt – wie sähe sie aus?
Welchen Spielregen wäre sie unterworfen – oder gibt es so etwas
wie die totale Freiheit für alle? Beschreibungen solcher Welten gab
es in der Literatur immer wieder; man nennt sie Utopien: vom
Griechischen οὐ- "nicht-“ und τόπος
"Ort“, also "kein Ort, nirgends". So hieß ein Buch
von dem englischen Staatsmann (unter König Heinrich VIII) und Autor
Thomas More, das 1516 erschien (unter
dem Titel De optimo statu rei publicae deque nova insula Utopia:
"die Verfassung des optimalen Staats..."), und wie alle
literarischen Utopien langweilig und freudlos. Verordnete Harmonie
funktioniert nur bedingt, beschränkt die Freiheit des Einzelnen -
und sie macht vor allem keinen Spaß.
Daneben gibt es die
für einen Schriftsteller reizvollere Schilderung des totalen Staats
als Unterdrückungsmaschine, die sogenannte Dystopie (wobei
dys- "schlecht", "übel" bedeutet: der
Staat als Anti-Utopie). Die bekanntesten dürften sein: Yevgenyi
Zamyatin, Мы ["Wir"]vi
(1920); Aldous Huxley, Brave New World (1932); George Orwell
1984 (1949); Ray Bradbury, Fahrenheit 451vii
(1953); John Burgess, A Clockwork Orange (1962; Kubrick film
1971); John Brunner, The Sheep Look Up (1972) – und ständig
werden es mehr.
Anlässlich einer
Ausstellungviii
schrieb unlängst Christian Schlüter in der Frankfurter Rundschau:
"...in der Science-Fiction geben wir uns der Lust an der
größtmöglichen Katastrophe hin. Das ist die eigentliche politische
Botschaft dieses Genres:" Das verkennt die Lust an der
größtmöglichen Unterhaltung durch spektakuläre Effects auf den
Mega-Leinwänden heutiger Kinos: Das, und nicht etwa eigentliche
politische Botschaften reizt das Publikum.ix
Was will SF?
Unterhalten – ja, doch schon auch. Aber eben auch mehr: Aufrütteln,
warnen, Entwicklungen vorhersagen, zum Nachdenken bringen. Space
operas; man in space: "hard SF" – ist nicht
alles; nicht immer kommen Raketen, UFOs, Raumschiffe vor! Nicht immer
geht es um die Zukunft – im Jahr 1948 schrieb Orwell 1984,
um vor einem totalitären Überwachungsstaat zu warnen, wie er ihn
unter Hitler und Stalin, den Big Brothers seiner Zeit, erlebt
hatte, nur noch perfekter.
Verwandt damit sind
Zeitreisen und alternatex
histories. Es handelt sich bei letzteren um "What
if"-Stories: "Was wäre wenn" die Geschichte
anders abgelaufen wäre: Hitler hätte den Krieg gewonnen, oder Die
Chinesen hätten Europa entdeckt, oder Nach dem Bürgerkrieg wäre
Amerika in drei verschiedene Staaten zerfallen. Reizvolle
Gedankenspiele, die nicht viel an wichtigen Einsichten gewähren,
aber verfilmt doch einiges hergeben müssten; seltsamerweise sind sie
selten. Beliebter sind die Zeitreisen: Abgesehen davon, dass sie in
zwei Richtungen weisen können, zurück in die Vergangenheit oder
voraus in die Zukunft, eröffnen sie rasch logische oder gar paradoxe
Situationen, mitunter sogar philosophische Fragen.
Um die anfangs
aufgeworfene Frage – warum ...studiert man SF? - zu ihrer Conclusio
zu führen: Weil kein anderes Medium erlaubt, so viele Aspekte
unseres Erdenxidaseins
auf so reizvolle und unterhaltsame Weise zu beleuchten.
Ein Letztes noch:
Wenn im SF-Film die Notwendigkeit auftaucht, mit aliens zu
kommunizieren, ist das meist kein unüberwindbares Problem: Entweder
der Bordcomputer des eigenen Raumkreuzers kann aber nun wirklich alle
Sprachen, oder Hilfsmittel wie Babelfische erleichtern die
Kommunikation. In der SF-Literatur drückt man sich hingegen viel
weniger vor solchen Kommunikationsproblemen; vielfach werden diese
sogar thematisiert (am radikalsten wohl in S.Lems Roman Solaris),
aber sie würden im Film eventuell zu langweiligxii.
Schade!
iFriedrich
Schiller sprach zwar von Universalgeschichte, aber es gab zu seiner
Zeit auch wenig gute SF...
iiUnd
es sind in der Tat fast nur Romane (und Erzählungen): weder gibt es
nennenswerte SF-Lyrik, noch entsprechende Theaterstücke.
iiinatürlich
kamen nach den Raketen die immer größeren Raumschiffe...
ivFür
den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie nicht wissen, wer das ist:
Perry Rhodan ist der fast göttergleiche Herrscher des Universums,
wie er in hunderten von Heften beschrieben ist – Deutschlands
wenig rühmlicher Beitrag zur internationalen SF.
vOft
auch Cyborgs
(von 'cybernetic organisms') oder Androids
genannt, wenn sie weniger aussehen wie Maschinen und äußerlich dem
Menschen gleichen. Das, was Sie von Ihrem Smartphone her kennen,
heißt jedoch nur so und ähnelt dem Menschen kein bisschen.
viZamyatins
Werk erinnert stark an Orwell – Es erschein jedoch fast 30 Jahre
früher!
viic.233°C.
Das ist die Temperatur, bei der Papier brennt (oder Bücher, wie in
diesem Roman).
viii"Things
to Come" in der Deutsche Kinemathek, Berlin. Noch bis 23 April
2017
ixWenn
bei der Eröffnung der Ausstellung von "einer erstaunlichen,
nunmehr zwanzig Jahre andauernden Konjunktur des Genres"
(Rainer Rother) die Rede ist, gilt dies doch eigentlich nur für den
SF-Film; für dir Literatur gilt dies nur sehr bedingt (z.B. dann,
wenn man die zahllosen spinoffs der Star Wars Reihe mit
einrechnet)
xhat
sich eingebürgert und ist irreführend: gemeint ist alternative;
alternate
hieße "sich abwechselnd"
xi(Solar
System 3rd planet; humanoid lifeforms)
xiiVgl.
auch eine Vielzahl von Westernfilmen, bei denen die Indianer [zwar
gebrochenes, aber immerhin:] Englisch reden. Im Übrigen – und
nicht nur im Western – gilt: Je platter der Film, desto mehr
grausigen Akzent sprechen die Gangster, aber praktisch immer
korrekte Grammatik...!
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