Im Jahre 1962
veröffentlichte Heimito von Doderer seine Romangroteske „Die
Merowinger oder Die totale Familie”. Darin versucht einer
gewisser Childerich, durch raffiniertes Vorgehen in der
Heiratspolitik nicht nur sein eigener Schwiegersohn, Vater und
Großvater zu werden, sondern dann durch geschickte Adoption auch
noch sein eigener Onkel, Schwager und Neffe – er schreckt dabei
auch vor nichts zurück. Er scheitert letztlich an der, sagen wir
einaml, Unübersichtlichkeit der Familie, und eben das verbindet ihn
mit den Merowingern der Geschichtsbücher. Außerdem heißt er auch
wie der letzte Herrscher dieses Geschlechts: Childerich.
Da wir beim Thema
„Französische Sprache” sind, wird es nicht überraschen,
dass die Merowinger ein Königsgeschlecht in Frankreich waren.
Andererseits: diese Namen! Merowinger hießen Childerich, Chlodwig,
Theuderich und Chlodhar, Dagobert und Childebert. Überhaupt hatten
sie endlos viele Namen, die mit Ch- begannen, und keiner von ihnen
klingt sonderlich Französisch. Natürlich nicht, könnte man
einwenden – das waren ja alles Franken! Oder warum, glauben Sie,
heißt dieses Land Frankreich?
Das sind jetzt –
als Würzburger Lokalpatriot möchte man fast sagen: leider! - nicht
die Franken, wie wir sie kennen. Die heute so genannten Stämme, die
Ostfranken im nördlichen Bayern, sind nur ein winziger und
nebensächlicher Teil der Geschichte und kommen hier (in diesem Text)
auch gar nicht weiter vor (1). „Franken” waren,
historisch gesehen, einige germanischstämmige Völker, die in
Gallien und Teilen Germaniens das Erbe der Römer antraten. Das Reich
der Franken existierte grob gesagt zwischen der Spätantike und dem
mittelalten Reich Karls des Großen, a.k.a. Charlemagne.
Die Anfänge der
Merowinger liegen im halbmythischen Dunkel, und so unübersichtlich
wie in Doderers Roman ging es auch bei ihnen zu, was zu wesentlichen
Teilen auch an den zum Verwechseln ähnlichen Namen liegt.
Wir merken uns
vorerst nur einen, nämlich Childerich, den Begründer des
Merowingerreichs, das aber nach Merowech genannt ist, dem Vater
Childerichs – nur eines der Verwirrung stiftenden Details. Dieser
Childerich lebte im 5. Jhd. im Hennegau, genauer: in Tournai (heute
Belgien); sein Sohn Chlodwig sicherte seiner Sippe das Land nördlich
der Loire und stellte die Dynastie auf solide Füße. Der Rest der
Geschichte der Merowinger ist Mord und Totschlag, Hochzeiten,
Erbteilungen, Streit und Intrigen: finsteres Mittelalter halt. Am
Schluss waren die Merowinger ein fast schon eigenartiger Haufen. Sie
hatten das „geheiligte” Königtum als Institution (erfunden),
trugen lange Haare und hatten, wie erwähnt, Ch-Namen. Was aber
sonst?
Was sprachen sie für
eine Sprache?
Zunächst einmal:
Die (germanischen) Franken sprachen mitnichten Französisch, und
genauso wenig sprach das Gros der Bevölkerung Germanisch. Man sprach
weiterhin Galloromanisch, die fränkischen Eroberer sprachen
Fränkisch, und ein gewisses Maß an Zweisprachigkeit war wohl
normal.. Und wie das so geht in solchen Fällen: Übernahmen von
Vokabeln und allmählich auch grammatischen Strukturen ergeben sich
von selbst. So schätzt man, dass in der Zeit des Frankenreichs
einige zig-Tausend Wörter aus dem Germanischen in die Volkssprache
gefunden haben, und damit zumindest teilweise ins Französisch. Ein
caveat jedoch: Genaues weiß man nicht: weder, wie viele Wörter
genau (man schätzt, etwa 10% des frz. Vokabulars stammen aus dem
Germanischen), auch nicht, von wem, von den Franken selbst oder von
anderen Germanen, etwa Burgundern oder Alamannen. Man weiß auch
nicht immer, wann genau ein Wort übernommen wurde, ob im 10.
Jahrhundert, oder erst im 19. Jhd vom modernen Deutsch.
Ein weiteres
Problem, zumindest für den Laien, ist der Umstand, dass ein Wort in
der Sprache, aus der es geborgt wurde, nicht mehr gebräuchlich ist,
oder eine inzwischen radikal andere Bedeutung hat. Ein Beispiel:
„Krieg” heißt auf (modern) Französisch „guerre”. Die
Herkunft aus dem Germanischen sieht man dem Wort nicht an: Es hieß
„werra” im Fränkischen, und das moderne deutsche Wort, „Krieg”,
ist von letztlich ungeklärter herkunft. „Ble”, das französische
Wort für „Weizen” kommt aus dem fränkischen Germanisch, „blad”,
was „Mehl” bedeutete. Und so fort. Übrigens: Das Französische
verdankt den germanischen Sprachen nicht nur Kriegsvokabular wie
„Krieg”, Spieß” und „Rüstung” (kennen Sie eigentlich noch
das Wort „Brünne”? Nein? - Sehen Sie!), sondern auch „jardin”
(„Garten) oder „haie” (Hecke), „bois” und „foret”
(beide „Wald”) und, was überrascht, die Farben „bruin, bleu,
blond, blanc, gris”. Eine umfassende Liste findet man über
Wikipedia (hier).
The story so far
(L’histoire jusqu’ici)
Wie wir gesehen
haben, wurzelt Französisch in einer keltischen Sprache (Gallisch),
vermischt sich mit einem lateinisch geprägten Multi-kulti-Bastarden,
dann mit einem germanischen Dialekt und verhilft dem Land dennoch im
Hochmittelalter zu einer Rolle als führende Kulturnation. Wie geht
denn das zusammen?
Das ist noch nicht
alles: Einige Details wurden nur beiläufig erwähnt oder ganz
ausgelassen. Darum sei eine punktuelle Korrektur nachgeliefert:
- Der „germanische Dialekt”, von dem eben die Rede war, ist natürlich Fränkisch (Francique). Daneben kam es auch zur Berührung mit anderen germanischen Sprachen bzw. Dialekten, dem Burgundischen etwa, Alamannisch an der Reheingrenze oder den Westgoten von – ja, Westen her.
- Im 4. und 5. Jahrhundert etwa siedelten britische Kelten in Armorica (der heutigen Bretagne), die mit den Walisern und den Stämmen in Cornwall verwandt waren. Auch ihre Sprache war keltisch, nicht romanisch, aber auch nicht gallisch.
- Etwa 450 Jahre später eroberten Wikinger das Land östlich der Bretagne; sie siedelten dort, und ihr Anführer, Graf Rollo, schwor dem König der (West)Franken den Treueeid und wurde dafür mit dem Herzogtum des Gebiets belehnt, das nach Rollos Wikingern „Land der Nord-Männer” heißt: Normandie. A propos Namen: Der Frankenkönig hieß Karl III, oder Charles le Simple. „Karl der Einfältige”. Auch ein schöner Name!
- Als die von Karl dem tatsächlich Großen beherrschte Welt zerfiel, gab es schon sprachliche Sollbruchstellen. Deren wichtigste war die Grenze zwischen dem romanischsprachigen und dem germanischsprachigen Teil, die ganz grob gesprochen entlang des Rheins verlief. Das tut sie aber nur annähernd: Warum sie weder dem Rhein noch irgendeiner politischen Grenze folgt, die politisch begründet wäre, ist ungeklärt.
- Die Region Aquitanien im Südwesten, Heimat der Bordeaux-Weine und der Höhlenmalereien von Lascaux, ist nach einem Volk benannt, das dermaleinst eine Sprache sprach, die mit dem Baskischen verwandt war.
Die erstaunliche Sprachenvielfalt in Frankreich - Im Südwesten, wie überhaupt im ganzen Süden, sprach man nocheinmal anders. Ob nun Gaskonisch, Langue d’Oc, Provenzalisch oder Okzitanisch, oder sonst ein Name verwendet wird: Diese Sprachen unterscheiden sich ganz erheblich von den Dialektvarianten der sogenannten Langues d’oil, und besonders die Variante im Osten, das Provenzalische, wurde im Hochmittelalter zur wichtigsten Kultur- und Literatursprache in Europa. Es war die Sprache der Troubadoure und Dichter.
- Und wir sind erst im Mittelalter!
Aus dem 9.
Jahrhundert gibt es ein Dokument, die Straßburger Eide. Es
geht darin um eine Absprache von zwei Enkeln Karls des Großen (bzw.
Charlemagnes)(und zwar gegen einen dritten!).. Sie sind, und das ist
das Besondere, in zwei Sprachen verfasst, offenbar deswegen, weil das
Volk in den beiden fränkischen Reichsgebieten, Ost und West, den
jeweils anderen nicht (mehr) verstand.
Ab dem 8.
Jahrhundert waren die Merowinger ohnehin von den Karolingern
allmählich und mit Karl (Charlemagne, wie wir wissen) endgültig und
offiziell abgelöst. Dessen Nachkommen wiederum teilten das Reich
unter sich auf, und damit endet die gemeinsame Geschichte der Ost-
und der Westfranken, welch letztere man jetzt mit Fug und Recht
Franzosen nennen kann.
Und die sprachen
alle Französisch, und das war’s dann?
Natürlich nicht
ganz: Wir sollten uns vielleicht doch einmal kurz die Bretagne
anschauen, und – vor allem – die südliche Hälfte des Landes,
das heute Frankreich heißt.
Nächstes Mal.
Fußnoten
1 - Im Englischen
unterscheidet man zwischen ”Frankish” - der Sprache der
Merowinger – und
”Franconian”,
dem heutigen Dialekt in Unter-,Mittel- und Oberfranken.
2 - Und
Zweisprachigkeit ist in den meisten Teilen der Welt heute noch
selbstverständlich: schauen Sie mal nach Afrika oder Asien!
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