Am
Anfang war der Finger. Damit kann man zählen: insgesamt bis zehn –
daher vermutlich unser Zehnersystem. Wenn wir schreiben, etwa, wenn
wir eine bestimmte Anzahl von Tagen im Kerker sitzen müssen, machen
wir vielleicht eine Strichliste: vier senkrechte Striche, vier Tage;
der fünfte Tag: ein schräger Strich quer durch: so behält man die
Übersicht. Mit der Zeit wird’s aber dann doch etwas schwerfällig.
Dann suchen wir Alternativen.
Es ist
reizvoll, sich vorzustellen, dass die alten Römer ihr System aus der
Strichliste entwickelten. Bis sie in eine Sackgasse gerieten. Umso
erstaunlicher ist es, dass römische Ziffern heute noch vielfältig
Verwendung finden: an öffentlichen Bauwerken, auf Zifferblättern,
in dicken Büchern mit wissenschaftlichem Anspruch, zur Bezeichnung
von Monaten usw. Warum aber Sackgasse? Nun, sie sind schwer zu
handhaben, besonders, wenn man große Zahlen schreiben will; es gibt
keine Null Rechnen ist mit ihnen glatt unmöglich, und andere
systemische Fehler.
Schauen
wir genauer hin. Drei I sind drei; V entspricht dem oben erwähnten
Querstrich, und X ist ein V und ein umgekehrtes, auch logisch. 1, 5
und 10 sind nachvollziehbar, ihre Vielfachen nicht ohne Weiteres: 50,
100, 500, 1000. Die Römer schrieben dafür L, C, D und M. Weiter
ging es übrigens meistens1
nicht. Da C für centum
(hundert) steht und M für mille
(tausend), fragt man sich, woher L und D kommen. Das ist nicht
endgültig geklärt.
Versucht
man, römische Ziffern2
anzuwenden, gerät man bald an Grenzen, seine eigenen und die des
Systems. Dieses Jahr geht gut: MMXIV – facile3!
Das Jahr 1789 war, mit römischen Ziffern geschrieben, MDCCLXXXIX.
Kein Wunder, dass die Revolutionäre (das Jahr der Französischen
Revolution!) ein ganz neues System einführten, (l'an
I de la liberté – "Jahr 1 der
Freiheit")4
Aber wir können ja nicht jedes mal, wenn wir Schwierigkeiten mit
einer Zahl haben, eine Revolution anzetteln! (Das gäbe zahllos viele
Umstürze!). Wie steht's mit anderen großen Zahlen? Drücken Sie mal
das Jahr 1993 auf die römische Weise aus! Na?
Gut,
erst nochmal die Spielregeln:
- Die Ziffern folgen in Leserichtung von groß nach klein, also: M D C L X V I
- Ein Wert wird von einem größeren abgezogen, wenn die kleinere Ziffer links von der größeren steht.
- Wiederholungen sind in Grenzen erlaubt: M,C,X,I können (normalerweise) nur dreimal, die anderen besser nicht wiederholt werden.
- Das System kennt keinen Stellenwert. Das heißt: M heißt immer 1000, ganz egal wo es steht in der Ziffernfolge. Im indo-arabischen System, das wir verwenden, hat die 7 im folgenden Beispiel 3 verschiedene Wertigkeiten:745717:Die 7 ganz links hat den 'Wert' 700000, die mittlere steht für 700, und die 7 rechts gilt 7.
So,
jetzt zurück zu 1993. Folgende Schreibweisen wären irgendwie
plausibel, oder zumindest hat es den Anschein. MVIIM (2000 – 7,
aber eigentlich nicht erlaubt) MDCCCLXXXXIII (quasi ausgeschrieben,
aber unübersichtlich), MCMXCIII (mehrere grenzwertige
Wiederholungen, aber einigermaßen klar).
Nun zum
Rechnen: Das System erlaubt nicht einmal einfache Addition oder
Subtraktion: XII + XVII = XXIX. Das stimmt zwar, aber wie kommt man
dazu? und wieso ist C – XXVII = LXXIII?
Das
Interessante ist, dass unsere Rechenweise – 10 Ziffern
(1,2,3,4,5,6,7,8,9 und eben auch die 0), das Komma und ein
Stellenwertsystem – so viele komplizierte Berechnungen und
Operationen zulässt, dass man anfängt, sich zu wundern. Die
Ingenieurskunst der Römer, die Bürokratie ihrer Verwaltung und die
Organisation ihrer Truppen – all das kannte nur diese unbeholfene
Mathematik.
Aber
bei den anderen Hochkulturen der Antike, von Ägypten bis
Mesopotamien, kannten meist nur ähnlich komplizierte, zumindest für
uns sehr undurchsichtige Rechenweisen7.
Das
gilt auch für die Griechen, trotz Pythagoras, Euklid & Co. Sie
benutzten Buchstaben für Zahlenwerte, kannten aber immerhin so etwas
wie die Null. Auch die alten Hebräer hatten ein 'alphabetisches'
Zählsystem, das zwar verwirrt, andererseits und gerade deshalb der
'Gemattrie'
Vorschub leistete, einer Zahlenmystik von stupender Komplexität und
stupider Nutzanwendung. Will sagen: geheimnisvollem Unsinn. Etwa nach
dem Motto: Wenn Buchstaben Zahlen sind, haben auch Wörter einen
Zahlenwert8.
Ganze Texte sind also Zahlencode und bergen mystische Geheimnisse,
wenn man die Zahlen richtig versteht. Das heißt natürlich dass
immer das aus einem Text herausgelesen werden kann, was man vorher
hineingeheimnist hat. Aber das ist eine andere Geschichte....
Die
Römer waren dagegen nüchterne, solchem Unsinn9
dann doch eher abgeneigte Praktiker. Auch wenn ihr Zahlensystem etwas
unpraktisch war.
Die Anmerkungen:..
Die Anmerkungen:..
1 'meistens'
heißt hier: es gibt kompliziertere Weiterentwicklungen, aber die
sind noch unverständlicher und unnötiger. Was für Mathematiker
und Masochisten.
2 D
ist hier die Ziffer, sie steht für die Zahl 500. Ziffer und Zahl
sind Zeichen und Bezeichnetes; man sollte sie nicht verwechseln.
4 Der
revolutonäre Kalender wurde allerdings erst 1792 eingeführt; das
Revolutionsjahr liegt vor der Zählung!
7 trotz
aller technischen Probleme, die die Keilschrift in Sachen Lesbarkeit
bietet, waren die alten Babylonier ausgefuchste Mathematiker. Das
war jedoch sehr die Ausnahme.
8 Offenbarung
13, 18: "Wer Verständnis hat, berechne die Zahl des Tieres!
Denn es ist eines Menschen Zahl; und seine Zahl ist 666." -
"The number of the beast." Oder als T-Shirt-Spruch:
667: the neighbor of the beast...
9 ein
kleines Beispiel für Textmystik: Im englischsprachigen 46. Psalm
der King James Bible ist das 46. (!) Wort von Anfang her gezählt
"shake" und das 46.(!!) von hinten "speare". Was
beweist uns das? Nichts!
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