Mal was über Orange.

Orange?

Freitag, 18. September 2015

Neue Namen 1

Beijing – Peking
Die Hauptstadt Chinas ist eigentlich die “nördliche”; die südliche war Nanking. Sie ist die Hauptstadt mindestens seit der Ming-Dynastie (15. Jhd). Da sie auf Mandarin-Chinesisch Beydsching gesprochen wird (sieht verboten aus, ich geb's zu), schreibt man sie international Beijing, das kommt der Aussprache einigermaßen nahe, und Peking schreibt man das auf deutsch, weil man das schon immer so geschrieben hat. Die amtliche, sog. Pinyin-Umschrift, erschließt sich einem ohnedies nur in Ausnahmefällen: wissen Sie, wie man Qigong spricht? Eben: Dschigong!
Mumbai, Varanasi, Kolkata und Chennai – Bombay, Benares, Kalkutta und Madras
Die Tatsache, daß Bombay sich nicht mehr so nennt, sondern Mumbai (und zwar seit 1996), hat sich teilweise schon bis nach Deutschland herumgesprochen. Wer nun meint, es sei also 'politically correct', immer Mumbai zu schreiben, macht es sich wiederum zu einfach: die Umbenennung wurde von zwei rechts-nationalistischen Parteien betrieben (Bharatiya Janata Party und Shiv Sena) und ist keineswegs allgemein akzeptiert. Ähnlich ist der Fall übrigens bei
Myanmar – Burma
gelagert: die Umbenennung geschah durch eine der übelsten Militärdiktaturen, die es derzeit gibti (z.B. wird die Nobelpreisträgerin Aung Sa Suu Kyi seit Jahren im Hausarrest gehalten; ginge es demokratisch zu, dürfte sie regieren). Myanmar soll ganz harmlos die Aussprache besser wiedergeben (desselben Worts übrigens, dem wir auch Birma - engl.Burma - verdanken. Irgendjemand muß hier schwer genuschelt haben!), aber wenn man den neuen Namen benutzt – stützt man damit nicht das System?

Burma
Myanmar
Die anderen Umbenennungen in Indien sind im Vergleich zum Fall Mumbai etwas anders gelagert; man kann die kommunistische Regional-Regierung von Bengalen kaum nationalistischer Motive verdächtigen, wenn sie Kalkutta – engl. Calcutta- Kolkata schreibt. Chennai ist tamilisch (und verkürzt für Chennappattanam) und erinnert weniger an die Kolonialzeit als Madras (was übrigens auch tamilisch ist).
Bei vielen Namensänderungen steckt natürlich eine Überwindung der kolonialen Vergangenheit dahinter, deswegen heißt Rhodesien nicht mehr nach dem Imperialisten Cecil Rhodes Rhodesien, sondern Zimbabwe nach einer alten Kultur dieses Namens.
Burkina Faso – Obervolta
Burkina Faso heißt “Land der Aufrechten” (der deutschsprachige Wikipedia-Artikel hat “Land der ehrenwerten Menschen”; auch nicht übel), und das klingt allemal besser als das frühere Obervolta, oder besser Haute-Volta. So heißt man vielleicht als (in diesem Fall französische) Kolonie, und zwar nach den drei Quellflüssen des Volta, aber seit 1984 heißt das Land nach seinen Menschen. Ein Bürger des Staates heißt übrigens Burkiner (wie man den Bürger von Obervolta nannte, entzieht sich meiner Kenntnis)
Auch in vielen Nachfolgestaaten der Sowjetunion will man die Vergangenheit vergessen machen, und sei es durch kleine Namensänderungen:
Almaty – Alma Ata
Die ehemalige (bis 1997) Hauptstadt Kasachstans (heute ist die offizielle Hauptstadt ein im Westen weitgehend übersehener Ort mit immerhin über 600 000 Einwohnern, Astana) heißt auf deutsch soviel wie “Großvaters Apfel”. Wenn es einen Preis für besonders schöne Namen gäbe: der Ort hätte ihn verdient! Almaty kommt wohl einfach der kasachischen Aussprache näher; warum man das allerdings erst 1997 gemerkt hat, weiß ich auch nicht.
Kaliningrad – Königsberg
St. Peter(s)burg – Leningrad – Petrograd
a propos post-sowjetische Zeit: Kaliningrad heißt Königsberg schon seit Sowjetzeiten, und erstaunlich ist eigentlich eher, daß die Stadt ihren angestammten (es handelt sich um eine Gründung des Deutschen Ordens!) ostpreußischen Namen bis Ende des Zweiten Weltkriegs trug. Sankt Petersburg hieß zu Anfang des 20. Jahrhunderts Petrograd (also “Peters Stadt”), dann aber (bis 1991) Leningrad nach W.I. Lenin, der von dieser Stadt aus die Revolution zum Sieg geführt hatte.
Eine Revolution später, nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems, wurde die Stadt wiederum umgetauft, aber nicht in Petrograd – was letztlich auf Zar Peter den angeblich Großen verwiesen hätte – sondern nach dem Heiligen dieses Namens. Nur war der kein Russe.
Ljubljana, Zagreb – Laibach, Agram
Bratislava, Brno – Preßburgii, Brünn
Viele Städte in Osteuropa tragen neben ihren slawischen Namen seit jeher auch deutsche Namen; das ist nach Jahrhunderten des weitgehend friedlichen Zusammenlebens auch kein Wunder. Wir haben ja sogar deutsche Namen für Städte, mit denen wir sehr viel weniger direkt zu tun haben, wie etwa Mailand für Milano oder Venedig für Venezia. Meiner Meinung nach ist nichts dagegen einzuwenden, wenn man Brünn statt Brno sagt; das läßt sich zumindest auch leichter aussprechen. Die korrekte polnische Aussprache der folgenden Orte kriegt ein Deutscher eh vermutlich nicht hin, es sei denn, er kann Polnisch:
Gdaňsk, Wrocław, Cęstochowa – Danzig, Breslau, Tschenstochau
Ohne das deutsch-polnische Verhältnis mal wieder zu sehr strapazieren zu wollen (wenn man sich die “gemeinsame” Geschichte der beiden Länder näher anschaut, versteht man einen Großteil der polnischen Emfindlichkeiten auf diesem Gebiet): Man sollte das Ganze einfach etwas lockerer sehen. Wer Paris sagt statt Pahrieiii und London statt Landen, soll ruhig Breslau sagen; wir alten Wrocławer verstehen ihn schon.

 Auch wenn die Diktatur sich inzwischen ein pseudodemokratisches Mäntelchen umhängt: Der "State Law and Order Restoration Council" (mit der schön-gruseligen Abkürzung SLORC) heißt jetzt "State Peace and Development Council" (SPDC), und einen lupenreinen Demokraten als Präsidenten hat das Land auch: den Ex-Militär Thein Sen.Plus ça change, plus c'est la même chose!
iioder nach der neuen Rechtschreibung Pressburg – das wäre aber nun völlig absurd, nach dem Motto 'So müsste man es schreiben, wenn es noch jemand schreiben würde'.
iiioder, wie eine Stadt in der surrealen Welt der Comic-Serie Les Cités Obscures von Schuiten und Peeters sich nennt: Pâhry. Bedauerlich, dass diese grandiose Serie nicht so bekannt ist, wie es ihr gebührt. Daher sei hier schon einmal auf einen Beitrag unter Comics – die Neunte Kunst verwiesen.

Neue Namen 2

Bratislava Preßburg


Preßburg Bratislava















Chemnitz - Karl-Marx-Stadt - Chemnitz
Der Stadt am Erzgebirge hatte nicht nur der 2.Weltkrieg übel mitgespielt, sondern nach dem Krieg die sozialistische Planwirtschaft der DDR: Wohnungsbau war erste Priorität, und auf Erhaltung irgendwelcher alter Bausubstanz konnte man nur wenig Rücksicht nehmen. Überhaupt sei man eher der Zukunft zugewandt (kleine Anspielung auf die Nationalhymne der DDR1), und obendrein sei der Name Karl-Marx-Stadt daher viel angemessener, hieß es von oben, und ab 1953 hieß die Stadt dann so; seit dem Fall der Mauer heißt sie wieder Chemnitz, und alles ist gut.
Flandern - Vlaanderen
Aix-la-Chapelle - Liège - Louvain
Da wir gerade von Karl Marx reden: wissen Sie, wo die Stadt Aix-la-Chapelle liegt? Wenn man von Frankreich her auf der E411 Richtung Deutschland fährt, ist sie ständig angeschrieben, und dann ist sie plötzlich verschwunden! Warum? Weil sie auf Deutsch Aachen2 heißt. Wie auch Lüttich französischerseits immer Liège heißt und auf niederländisch Luik. Ebenso heißt die flämische Stadt Leuven auf Französisch Louvain (und sieht so viel eleganter aus), eigentlich jedoch, das heißt: auf Deutsch, heißt sie schon immer Löwen. Es muss hier betont werden: die Städte Flanderns (und einige in Nordfrankreich und in den Niederlanden) tragen fast durchweg schon immer mehrere Namen, auf Flämisch (= Niederländisch), aber auch Französisch, Deutsch und wenn's sein muß sogar auf Latein. Aachen heißt Aquae Grani auf Lateinisch (und liegt nicht einmal in Flandern).

So ist das alte Herrschaftsgebiet der Herzöge von Burgund, die"Dix-Sept Provinces" der "Pays Bas", ein ureuropäisches Kernland: mehrsprachig und weltoffen.

1"Auferstanden aus Ruinen / Und der Zukunft zugewandt, / Laß uns dir zum Guten dienen, / Deutschland, einig Vaterland./ Alte Not gilt es zu zwingen, / Und wir zwingen sie vereint..."


2Aix kommt von Aquae (vgl. Bad Aachen), und die Chapelle ist die von KarldemGroßen (Charlemagne) 798 gebaute.

Dienstag, 25. August 2015

Goten?

Gotland
Die schwedische Insel Gotland (schwed. Götaland) trägt heute noch ihren Namen, auch wenn die Herkunft der Goten von dieser skandinavischen Insel umstritten ist. Später finden sie sich sowohl am Südrand der Ostsee, aber auch am Schwarzen Meer (Krim). Ihre Sprache ist der einzige uns bekannte Vertreter der ostgermanischen Sprachen.

Exkurs: Germanisch gibt es in drei Sprachgruppen: Westgermanisch (d.h., Deutsch, Niederländisch, Englisch, Friesisch), Nordgermanisch (skandinavische Sprachen) und Ostgermanisch.


Das ostgermanische Gotisch ist dank einer Übersetzung von Teilen der Bibel durch einen Bischof namens Wufila ("Wölfchen") gut überliefert (4.Jhd). Übrigens erfand Wulfila gleich noch eine Schrift dazu, denn die Goten schrieben kaum, und wenn, wie bei germanischen Völkern üblich, umständlich in Runen. Und so "klingt" ihre Sprache: atta unsar þu ïn himinam / weihnai namo þein (Der Buchstabe þ, der heute noch im Isländischen gebräuchlich ist, steht für den (englischen) th-Laut; der Text ist der Anfang des Vaterunsers). Vgl. den Nachtrag weiter unten.
Aus "Asterix und die Goten"
Als gegen Ende des 4. Jahrhunderts (also etwa zu Wulfilas Zeiten) asiatische Steppenvölker ("Hunnen") in Europa eindrangen, lösten sie eine Kette von Wanderungsbewegungen in weiten Teilen Europas aus, die man heute die Völkerwanderung nennt. Da es selten ganze Völker waren, die da umzogen, und da sie das nicht über Nacht taten, und nachdem "Wanderung" zu sehr nach einem kleinen Spaziergang klingt, ist der Ausdruck vielleicht nicht ganz treffend. Bunte Haufen von Menschen, die mit allen Habseligkeiten auf Ochsenkarren eine neue Heimat suchten, planlos, vielleicht auf Gerüchte hin, jenseits dieses oder jenen Flusses, hinter den Bergen etwa, gebe es Land für alle. Mit Kindern im Tross, die Alten und Schwachen mit sich führend, kann das nur langsam gegangen sein, eine beschwerliche Reise in eine ungewisse Zukunft. Begleitet und geschützt wurden sie vermutlich von den jungen, wehrhaften Kriegern auf Pferden, die bei zwangsläufig eintretenden Konflikten mit anderen Gruppen mobil reagieren konnten.
Die Goten zogen mit, teilten sich, manche siedelten hier oder da, andere zogen weiter, und allmählich bildeten sich zwei, drei größere Völker heraus, die man Ostgoten (oder Ostragothen), Westgoten (Visigothen) und Gepiden nennt. Unter ihnen sind es besonders die Westgoten, die im Laufe nur weniger Generationen einen geradezu fantastischen Zug durch Europa vollbrachten, von den Karpaten, durch den Balkan, die Donau hinauf, durch ganz Italien, Südfrankreich, über die Pyrenäen und auf die iberische Halbinsel. Sie gründeten in Südwestfrankreich und in Spanien neue Reiche, das Reich von Tolosa (Toulouse), das Reich von Toledo und andere. Die Gepiden siedelten derweil im Karpatenbogen.
Theoderich, a.k.a. Dietrich von Bern
Die Ostgoten siedelten zunächst in Pannonien und auf dem Balkan, wendeten sich aber dann gegen Rom und herrschten mit ihrem Anführer Theoderich über das, was aus dem einst stolzen Römischen Reich geworden war.

Diese Goten nun haben nur sehr indirekt mit der gotischen Baukunst zu tun, die ab 12.Jhd ausgehend von Frankreich die romanische ablöst. Die Faustregel kennen Sie wahrscheinlich auch: romanisch = Rundbogen, gotisch = Spitzbogen. Wenn der Rundbogen sich noch auf die Römer zurückführen lässt, die ihn nicht nur erfunden, sondern auch äußerst gerne gebaut haben, ist der Name einleuchtend, wenngleich er nicht in der Epoche selbst, sondern erst Anfang des 19. Jahrhunderts geprägt wurde. Umso weniger ist der Spitzbogen – oder auch irgendein anderes charakteristisches Merkmal der Gotik – ein Kennzeichen der historischen Goten. Da aber in Italien die Goten, die ja dem Römischen Reich ein grausames Ende bereiteten, als die Barbaren schlechthin galten, wurde im Italien der Renaissance der Kunststil, von dem die Renaissance sich abwendete, um zu den Werten der Antike zurückzukehren, als "gotico" im Sinne von "barbarisch" empfunden. Über das Französische ("gothique") gelangte der Name auch in andere Sprachen, ins Englisch zum Beispiel, oder ins Deutsche.

"Gothic [novel]" bezeichnet vor allem im Englischen eine romantische Form von Literatur: Horror und Phantastik – etwa das, was man im Deutschen "Schauerroman" nennt. Der Begriff lässt sich in diesem Zusammenhang sogar genau datieren: 1764 erschien der erste Schauerroman in England, Horace Walpoles The Castle of Otranto. A Gothic Story. Der Roman wurde stilbildend, und der Untertitel wurde Mode. Von Mary Shelleys Frankenstein bis zu Edgar Allen Poes Erzählungen war das Schaurig-Schöne angesagt. "Das Klassische nenne ich das Gesunde und das Romantische das Kranke," definierte Goethe und meinte damit die Faszination, die die Nachtseite des Lebens, das Dunkel-Unheimliche auf die Romantiker ausübte.

Die Houses of Parliament in London, oder genauer: Westminster Palace, werden oft für ein wahres Juwel mittelalterlicher, gotischer Architektur gehalten. Der Gebäudekomplex wurde jedoch erst Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet, da das alte Gebäude fast völlig niedergebrannt war. Mithin ist kaum etwas wirklich Mittelalter: Die Parlamentsgebäude sind ein gelungenes Beispiel des "Gothic [Perpendicular] Revival".

Die (Sub-)Kultur und Ästhetik der Goths (seit etwa 30 Jahren), entstanden aus und angeregt durch Post-Punk-Musik, ist nur insofern "gotisch", als die Musik, Gothic Rock, die Faszination des Dunkel-Makaberen widerspiegelt, wie sie schon die Literatur der Gothic novels zum Ausdruck brachte. Zwischen Selbstinszenierung, einer Ästhetisierung des Schauerlichen und deren Kommerzialisierung in Film, Musik und Literatur ist "gotisch" kaum mehr noch als ein Etikett.

Und doch: Von einem ostgermanischen Volksstamm der Völkerwanderungszeit über einen mittelalterlichen Baustil im 12. Jhd., eine literarische Mode im späten 18., die Wiederentdeckung des mittelalterlichen Stils im 19. bis zu einer Subkultur im beginnenden 21. Jhd. ist ein eindrucksvoll langer Weg.

 Nachtrag: "Gotisch" nennt man manchmal Schriften, die fantasievoll nach Mittelalter aussehen - fantasievoll deshalb, weil sie oft vor lauter Begeisterung der Schnörkel zu viele machen, z. B. so:
Nun gibt es bei den sogenannten "gebrochenen Schriften" (engl. "blackletter fonts") einige, die tatsächlich aus der Zeit der Gotik (also Hochmittelalter) stammen, und einige davon, z.B. die sogenannte Textura, sind sogar DIN-Schriften.


Ordentliches Mittelalter!




Mittwoch, 29. Juli 2015

Schriftwechsel

Schriftwechsel



Die Schrift, die Sie gerade lesen, stammt von der Schrift der römischen Antike ab (und heißt im Folgenden 'Lateinschrift'); die Sprache ist Deutsch, und die Schrift ist dieser Sprache angepasst, aber nicht immer ganz glücklich. Wir haben Buchstaben im Alphabet, die wir eigentlich nicht brauchen (C, J, Q, V, X, Y und Z; sie ließen sich allesamt ersetsen); unsere Umlaute sind Kompromisse (Ä, Ö, Ü sind keine eigenen Zeichen!) und anderseits schreiben wir unnötig kompliziert bei Lauten, die relativ häufig vorkommen: CH, SCH, NG. Aber wir haben uns daran gewöhnt. Der Grund für diese Sachlage ist, dass unsere germanischen Vorfahren von den römischen Besatzern und Missionaren erst das Schreiben gelernt haben.



Bei der Einführung der Schrift in Kulturen (und Sprachen), die noch nicht verschriftet sind, wird i.allg. die Schrift der Missionare/Eroberer benutzt und mehr oder weniger stark dem phonetischen System der kolonisierten Sprache angepasst. So führten die byzantinischen (also griechischsprachigen) Mönche Kyrill und Method eine Form des Griechischen ein, die dem slawischen Lautbestand osteuropäischer Völker angepasst war. Diese Schrift, das glagolitische Alphabet, entwickelte sich allmählich zur Kyrilliza, der kyrillischen Schrift.
Russische Variante des Kyrillischen Alphabets



Im Laufe der Jahrhunderte entwickelten sich Varianten des Kyrillischen, die sich je nach Sprache (und deren Lautinventar) unterschieden, denn die Schrift wurde nicht nur für Russisch, sondern auch für andere Sprachen verwendet. Dies sind zum einen andere slawische Sprachen, die dem Russischen verwandt sind, wie Bulgarisch, Ukrainisch oder Mazedonisch, zum anderen aber auch nicht-slawische Sprachen, die noch kein eigenes Alphabet hatten (d.h. noch gar nicht verschriftet waren), als sie dem Reich der russischen Zaren eingegliedert wurden. Darunter waren Turksprachen wie Kasachisch, Kirgisisch oder Uigurisch, und "exotischere" Sprachen wie Tadschikisch oder – seit dem 16. Jhd. bereits - Rumänisch.



Natürlich wurden auch nicht alle slawischen Sprachen kyrillisch; nicht-orthodoxe Länder wie Polen, Tschechien, Slowakei oder Kroatien passten die Lateinische Schrift ihren Bedürfnissen an, und auch die Sprachen am Kaukasus, die bereits ein eigenes Alphabet hatten, wie Georgisch oder Armenisch, behielten dieses bei. Eine große Ausnahme war Rumänien: Dort schaffte man 1865 das kyrillische Alphabet ab und schrieb fürderhin mit lateinischen Buchstaben.



In Zeiten der Sowjetunion wurde die Kyrillisierung Asiens energischer vorangetrieben, und jetzt wurde z.B. auch Mongolisch mit kyrillischen Buchstaben geschrieben.




alte Handschrift mit dem glagolitischen Alphabet

Glagolitisch sieht für das ungeübte Auge sehr exotisch aus, auch im Vergleich zum Griechischen. Das daraus entwickelte Kyrillisch hingegen ähnelt stark dem lateinischen Alphabet, und zwar nicht ganz zufällig: Zar Peter der Große, der westlichen Einflüssen gegenüber ohnehin offen war, ließ um 1700 die Schrift in seinem Reich modernisieren, und das hieß: dem Lateinischen optisch angleichen. Es muss betont werden, dass dies nur ein optischer Unterschied war: Als Schriftsysteme sind die glagolitische und die kyrillische Variante gleich.



Dazu eine interessante Parallele: In Deutschland war seit Jahrhunderten eine Form des lateinischen Alphabets gebräuchlich, die heute noch von vielen als "altdeutsche Schrift" bezeichnet wird - die Fraktur. Überraschenderweise wurde in den 1930ern per Dekret die Frakturschrift abgeschafft – übrigens auf persönliche Anordnung Hitlers – und durch die heute noch gebräuchliche(n) Antiquaschrift(en) ersetzt. Auch hier ist der Wechsel ein rein optischer, denn das Alphabet an sich blieb gleich (Zuordnung von Laut und Zeichen, Sonderzeichen etc.). Der Fraktur als Druckschrift entsprach die altdeutsche Schreibschrift, häufig auch Sütterlin genannt. Diese verschwand nach und nach mit der Fraktur.


altdeutsche Schreibschrift (Sütterlin)
Noch einmal zur Einführung einer Schrift in eine noch nicht verschriftete Kultur: Die Entwicklung. gar Erfindung einer Schrift gezielt für eine einzelne Sprache und deren Phonetik bleibt die große Ausnahme. Immerhin: Es ist schon vorgekommen. Ein Cherokee-Silberschmied namens Sequoyah schuf Anfang des 19. Jahrhunderts eine Silbenschrift für die Cherokee-Sprache, die
Sequoyah und die Cherokee-Schrift
tatsächlich zu einer Literarisierung dieses Indianervolks führte; eine weitergehende Verbreitung der Schriftlichkeit, etwa in andere Indianerkulturen, blieb aus.



Manchmal jedoch wird in einer Kultur ein kompletter Schriftwechsel vollzogen, d.h., die Umstellung auf eine vollständig andere Schrift und eine damit verbundene andere Phonetik. Das hat in der Regel politische Gründe. Ein Beispiel wurde oben schon erwähnt: Der Wechsel von Kyrillisch zur Lateinschrift 1865 in Rumänien. Rumänisch ist bekanntlich eine romanische Sprache, stammt mithin vom Latein ab, und ein Wechsel zur lateinischen Schrift scheint daher logisch. Andererseits ist die vorherrschende Religion orthodox, und so läge ein festhalten am Kyrillischen nahe. Auch im Nachbarland Rumäniens, Moldawien, wird Rumänisch gesprochen und lateinisch geschrieben; im abgespaltenen Teil des Landes, in Transnistrien (östlich des Dnister) spricht man Rumänisch, schreibt aber (immer noch) in kyrillischer Schrift.



Im Grunde ist der Wechsel von einem Schriftsystem zu einem anderen fast immer politisch motiviert. Als nach dem ersten Weltkrieg das Kernland des Osmanischen Reichs, die Türkei, sich unter Kemal Atatürk, dem "Vater der Türken" nach Westen orientierte, sich des osmanischen Erbes entledigte und 'modernisierte', geschah das nicht zuletzt in der Schrift: Statt der im osmanischen Reich verwendeten arabischen Schrift wurde die ungleich modernere lateinische Schrift Europas eingeführt, was angesichts der damals vielfach analphabetischen Bevölkerung recht rasch und gründlich gelang. In ähnlicher Weise wenden sich die Satellitenstaaten der ehemaligen UdSSR immer mehr von der kyrillischen Schrift ab, wenngleich die Umstellung nicht immer leicht zu vollziehen ist. Aserbaidschanisch ist eine Turksprache, so dass das Land zwar ein lateinisches Alphabet einführte, aber in Gestalt einer Variante des türkischen Alphabets. Kasachstan scheint den Übergang noch nicht vollzogen zu haben und fährt (inoffiziell) zweigleisig, mit der kyrillischen Schrift einerseits und der neutürkischen Lateinschrift andererseits. Usbekistan schwankte zwischen der arabisch-persischen Schrift und der türkisch modifizierten Lateinschrift; letztere wird z.Zt. verbreitet eingeführt.

Tastatur für die indische Devanagari-Schrift
Ein wichtiger Faktor bei der zunehmenden Umstellung auf – wie stark auch immer modifizierte Formen der – Lateinschriften scheint das Internet zu sein, das zu wesentlichen Teilen auf dem westlichen Alphabet basiert, und da andere Schriftsysteme einen teilweise erheblichen Mehraufwand erfordern, wenn man sie ins WWW einbringen will. Ganz logisch ist das Argument andererseits nicht: Zwar sind die Schriftsysteme des Japanischen oder Chinesischen tatsächlich so komplex, dass allein schon eine handhabbare Tastatur ein großes Problem darstellt. Aber Isländisch, Griechisch oder Irisch zum Beispiel haben kein Problem mit der Tastatur, sondern mit der Sprache. Das Internet spricht halt Englisch.

Irisches Alphabet (das Wort, 'gaelach', bedeutet 'gälisch')


Zum Thema Schriftsysteme sei hier noch auf den ausgezeichneten Wikipedia-Artikel verwiesen:








Sonntag, 14. Juni 2015

Krieg

Aus Goyas Bilderzyklus Desastres de la guerra (1810-1820

Streit, von Althochdeutsch strīt: bewaffneter Wettstreit. Überraschenderweise ist das Wort, das dabei bevorzugt genommen wird, aus dem Germanischen: Krieg ist Wirrnis, werra, war.
Ein regelrechter Exportschlager! Wie übrigens auch Helm (helmet, yelmo, elmo etc.) oder Blitzkrieg (!! - Im Englischen hat man davon sogar ein Verb abgeleitet, to blitz). Oder Panzer. Hier ist es das Ding an sich (z.B. als 'Leopard 2' von Krauss-Maffei), nicht das Wort: Dieses Wort kommt z.B. im Französischen, Spanischen oder Italienischen aus dem Englischen (tank, tanque, vom englischen tank)i.

Aber: Das englische war entstand aus Altenglisch wyrre, AFrz. were, vom (germanischen!) werre, ist verwandt also mit verwirren, schon im Indogermanischen *-wers: "durcheinanderbringen, verwirren". Aber nicht nur das englische war kommt aus dem Germanischen, sondern auch die spanische, italienische und prtugiesche Entsprechung zu "Krieg": guerra. Und natürlich la guerre im Französischen.

Im Isländischen sagt man hernaður, öfter auch stríð, "Streit", ófriður, "Unfrieden". ii
Schwed., Norwegisch und Dänisch heißt der Krieg wie bei uns: krig, aber im Niederländischen oorlog, was wiederum auf ein altgermanisches Wort für Schicksal, uzliuga, zurückgeht. Das -log (bzw. liuga) hängt zusammen mit "liegen" und "legen"; oor- (uz-) bedeutet etwa "von, weg von". Eine Art Beschreibung des Unfriedens als Schicksal, das einem gelegt (=auferlegt) ist. Auch im Altnordischen existierte ein ähnliches Wort, ørlygi, das aber auf der Walstatt geblieben scheint. (Falls Sie sich jetzt fragen, was das nun schon wieder heißen soll: bitte ein klein wenig Geduld!) Synonym sind strijd und krijg. Streit ist hier übrigens weniger der "Zank", als der "Wettstreit der Waffen", und die Etymologie von Kri(e)g wird erst noch zu (er)klären sein.

Zunächst erst einmal Walstatt. Denken Sie an Walhalla, die Halle, in der Odin, a.k.a. Wotan oder Woden, die in der Schlacht gefallenen Krieger begrüßt. Keine zweiundsiebzig (oder waren das siebenundzwanzig?) Jungfrauen also, aber den Abtransport der Gefallenen ebenso wie deren Versorgung mit Met nach ihrem Tod oblag den Walküren, valkyrjar. Die erste Silbe des Namen, Wal-, oder valr, bedeutet den Ort der Schlacht, eben die Walstatt. Ursprünglich ein Wort von vielen (z.B. wîg, AN vega, besonders aber Kenningariii wie [übersetzt etwa:] "Schwertersturm", "Versammlung der Waffen" oder "Fütterung der Raben") die vor allem in der altnordischen Dichtkunst den Krieg beschreiben; zitiert sei hier einmal die sogenannte Ältere Edda:

hart er í heimi, hórdómr mikill,
skeggöld, skálmöld, skildir ro klofnir,
vindöld, vargöld, áðr veröld steypisk,
mun engi matr öðrum þyrma..

..Unerhörtes ereignet sich, großer Ehbruch.
Beilzeit, Schwertzeit, wo Schilde krachen,
Windzeit, Wolfszeit eh die Welt zerstürzt... (Völuspá; Übersetzung Simrock)iv

Doch warum heißt der Krieg so wie er heißt? Angeblich ein urgermanisches Wort, *krē₂gaz, aber das hilft nicht viel weiter. Esperanto übrigens auch nicht: da heißt der Krieg milito, etwa "hat was mit Militär zu tun," oder er heißt konflikto.

Was ist überhaupt ein "Krieg"?
Eine dreifache Unterscheidung scheint sinnvoll: Er ist eine Metapher, ein bewaffneter Konflikt (konflikto), und eine existenzielle Erfahrung, ein Zustand: skeggöld, Beilzeit.

Wenn jeder Ehekrach gleich als "Rosenkrieg" gilt und Nachbarn sich gerichtlich belangen, weil der eine partout seinen Rasen mähen will, wenn der andere seinen Mittagsschlaf hält, ist "Krieg" eine auch noch ziemlich dämliche Metapher. Noch dämlicher, wenn -wie Heraklit meint- der Krieg der Vater aller Dinge sein soll.
Ein "bewaffneter Konflikt" ist der Krieg, wenn Völker und Volksgruppen übereinander herfallen und dabei immer absurdere Mengen an Kriegsgerät und Waffen zum Einsatz bringen. Nebenbei: Es sind ja nie die Völker oder Volksgruppen, die einander von sich aus mit Krieg überziehen – nur wenn sie sich aufhetzen lassen (dazu dient allzuoft das unerbittliche Vorurteil, das sich den Mantel der Religion umhängt), nur dann fallen mitunter sogar Nachbarn übereinander her.
"Modern Warfare" im Computerspiel

Eine erschreckende Entwicklung ist dabei auch der Einsatz von Waffen"systemen", bei denen sich die kriegerische Handlung am Bildschirm des Soldaten abspielt (wo sie nicht mehr von einem computer-basierten war game zu unterscheiden ist), der vielleicht einen halben Globus weit weg in seiner sicheren Einsatzzentrale sitzt. Im Vietnamkrieg haben sich die amerikanischen Soldaten noch zugekifft, weil sie die Wirklichkeit ihres Einsatzes nicht mehr aushielten; in Afghanistan, im Irak oder heute in der Ukraine verschwimmen offenbar alle Grenzen zwischen gut und falsch, wir und die da drüben, Feind oder enemy combatant – комбатант ? чёрт ? wie auch immer das auf Russisch heißt. Wenn das die "Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" (Clausewitz) ist – wie hirnrissig muss da die Politik sein?




„Battle of Lutzen“ von Carl Wahlbom - Swedish wikipedia. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons
Für die meisten Menschen ist der Krieg nicht mehr das, was er in vergangenen Jahrhunderten oft war, wenn eine blau uniformierte Armee (etwa von Preußen) auf irgendeinem Acker in Schlesien auf eine andersfarbige Armee (von, sagen wir einmal, Österreichern) traf, wo man so lange auf einander einschoss, bis einer aufgab; wo man in den Städten von fern Kanonendonner hörte, aber außer der Angst davor, dass das Kriegsgeschehen vielleicht näherkommen könnte, nicht wirklich betroffen war. .. Doch schon dieses Bild stimmt nicht; es wurde in unzähligen Historienfilmen gezeichnet und zeugt von einem Geschichtsverständnis, das Schlachten, Jahreszahlen und dynastische Erbfolgen aufzählt und die andere, weit grausamere Seite des Kriegs unterschlägt, wo einquartiert, requiriert und fouragiert wurde, den Bauern die Vorräte gestohlen, Haus und Hof niedergebrannt und Frauen und Kinder gequält und vergewaltigt wurden. Das waren die Desastres de la guerra, wie Goya sie zeichnete.


i  Die Sache ist noch komplizierter, denn bis in die Dreißiger hieß er schon auch bei uns Tank, dann Panzer, und jetzt einigermaßen offiziell PzKpfw (will sagen, Panzerkampfwagen)
ii Leider ist mir die Etymologie von hernaður nicht bekannt.
iiiKenningar sind feststhende poetische Metaphern in der altnordischen Dichtung; ähnlich wie heute im Deutschen "fahrbarer Untersatz" für Auto.
ivZum besseren Verständnis, v.a. des Ehbruchs, hier eine englische Version
Hard is it on earth, | with mighty whoredom;
Axe-time, sword-time, | shields are sundered,
Wind-time, wolf-time, | ere the world falls;
Nor ever shall men | each other spare.




Sonntag, 3. Mai 2015

Über Jahr und Tag

Über Jahr und Tag i



JANUAR ist benannt nach Janus, einem ansonsten weitgehend unbedeutenden Gott (des Anfangs und des Endes); einer der wenigen römischen Götter, die kein griechisches Pendant haben. Doppelköpfig ist er, schaut also ins alte Jahr zurück und ins neue voraus..



Am 6. des Monats feiern Christen etwas; das Dreikönigsfest (Sternsinger!) die einen, Weihnachten die anderen. Letztere sind orthodox und haben noch nicht auf den gregorianischen Kalender umgestellt. Diesen hatte Papst Gregor XIII eingeführt (AD 1582) um den julianischen Kalender zu korrigieren (der war immerhin von Iulius Caesar veranlasst). Da der Papst katholisch war, zogen protestantische und orthodoxe Gebiete nicht gleich mit: eine bemerkenswerte Ungleichzeitigkeit der europäischen Länder!



Am 27. Januar feierte das Volk der Deutschen "Kaisersii Geburtstag," warum auch immer. (Vgl im nächsten Monat President's Day und im April den 20).



FEBRUAR auf Walisisch "Chwefror" (das 'f' wird wie unser 'w' gesprochen): man spürt richtig die Eiseskälte. In Island friert man schon im November: "frermánaðr" ("Frostmonat") heißt der dort. Der Name Februar soll auf römische Reinigungsrituale zurückgehen.



Am 2. ist Mariä Lichtmeß, einer der zahllosen Marienfeiertage und Heiligentage im katholischen Kalender. Dieser 2. Februar war wichtig, da er ein Wandeltag für das Gesinde war: Man erhielt den Lohn der zurückliegenden Monate und konnte zu diesem Termin auch die Beschäftigung wechseln. Am 3. Montag feiern US-Amerikaner Presidents' Day, oder eigentlich Washington's Birthday. Naja, und Lincoln's Birthday auch noch.iii



Ansonsten ist Februar der Schaltmonat. Astronomisch gesehen ist das Jahr nämlich nicht 365 Tage lang, sondern 365 und ¼. Deshalb bekommt der Februar regelmäßig einen Tag angehängt, nämlich alle vier Jahre, und das sind dann die Schaltjahreiv. Warum aber wird der Schalttag im Februar eingefügt, und nicht am Ende des Jahres? Weil das neue Jahr ursprünglich im März begann (s.d.), und weil der Februar daher ohnedies kürzer war.



MÄRZ Die Iden des März bezeichneten einen der vier benannten Tage des römischen Kalender (die anderen hießen Kalenden, Nonen und Terminalien) die den Mondphasen zugeordnet waren: Iden = Vollmond). Von diesen Tagen zählte man zurück – soundsoviele Tage vor den Kalenden etwa...Im Jahre 44 v.u.Z. wurde Gaius Iulius Caesar an den Iden des März ermordet. Pünktlich.


aus einem alten Bauernkalender
 

Eine alte englische Bauernregel weiß über den März zu berichten: "March comes in like a lion and goes out like a lamb", etwa: der März springt wie ein Löwe und landet als Bettvorleger. Will sagen: Anfang des Monats ist das Wetter gewöhnlich rauv und am Monatsende mild und sonnig. Bei den Germanen hieß er der "Lenzmond", Frühlingsmonat, und da macht man sich dann schon mal "einen faulen Lenz." Ein Bier heißt so: "Märzen".



Die Römer pflegten in diesem Monat diverse martialische (!) Bräuche und benannten den Monat nach dem Kriegsgott Mars.

Aber eigentlich begann in diesem Monat ursprünglich das neue Jahr, etwa für römische Beamte. Einen Rest von dieser Zählung finden wir seltsamerweise noch in unserem Kalender, und zwar bei den Namen der letzten vier Monate. Diese heißen nämlich wörtlich Siebter, Achter, Neunter und Zehnter.




APRIL Wo der seinen Namen her hat, weiß kein Mensch. Dennoch: der 1. April ist nicht nur bei uns "All Fools Day", wo man anderen Streiche spielt (sie "in den April schickt"), sie narrt (ihnen etwas weismacht) und anderen einen Fisch aus Papier an den Rücken hängt. Letzteres verstehen die Franzosen unter lustig; der Fisch heißt poissson d'Avril, und das trifft's ja irgendwie...



Das Osterfest fällt meist in den April; es ist ein bewegliches Fest, also nicht per Datum festgelegt (wie z.B. Weihnachten: Das ist immer am 25. Dezember), sondern wird gefeiert am "ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühling"vi. Es liegt auf der Hand, dass es auf ein christianisiertes heidnisches Frühjahrsfest zurückgeht; sowohl Eier als auch Hasen sind Fruchtbarkeitssymbole und passen in die Jahreszeit. Die Grimms wollten in ihrem Deutschen Wörterbuch den Namen von einer germanischen Göttin Ostara herleiten,die ansonsten keiner kennt. Wahrscheinlicher dünkt uns da eine Ableitung von Osten/Morgenröte.



Auch das jüdische Pessach fällt in den April; in diesem Jahr wurde es Anfang, nächstes Jahr wird es Ende April gefeiert. Nicht nur, dass jüdische Feiertage generell nicht einfach zu berechnen sind, gegenüber dem christlichen Kalender verschieben sie sich ständig. Bewegliche Feste, sozusagen, hoch zwei. Übrigens ist im Judentum auch der Tag anders definiert; er gilt von Sonnenuntergang bis Sonnenuntergang. Es ist vielleicht bekannt, dass Sabbat (Schabbes) mit Einbruch der Dunkelheit am Freitagabend beginnt, und am nächsten Tag, ebenfalls mit dem Dunkelwerden endet. Was genau "Sonnenuntergang" bedeutet, darüber lässt sich streiten.



Buddhas Geburtstag fällt meistens in den April, wird in den verschiedenen buddhistischen Ländern jedoch unterschiedlich gefeiert.

Am 20. April war Hitlers Geburtstag. Heute kein Feiertag mehr.



MAI Der erste des Monats ist ein Tag, an dem man entweder den Frühling genießt, oder bei einer Maidemo mitmarschiert. "International Labor Day" vii: Der "Tag der Arbeit" ist eigentlich der, an dem man nicht arbeitet, um zu demonstrieren, dass man das ansonsten schon tut.



Der Monat des Maiglöckchens, des Maibaums und der Maibowle. Es gibt ein untergäriges Starkbier, den Maibock. Den Maikäfer gibt es heute eher selten; man kennt ihn vielleicht eher noch aus Wilhelm Busch.



JUNI oder auch -O; heißt nach der römischen Göttin von Ehe und Familie, Rom und der Moneta, d.h., der römischen Münzprägeanstalt. Ihr ist die Gans heilig, doch ihr Attribut ist der Pfau.



Der 16. Juni ist für Literaturfreunde weltweit "Bloomsday": der Tag, an dem James Joycens "Ulysses" spielt. Der Tag wird nicht nur in Irland, der Heimat des Autors, feierlich begangen und sollte m.E. überall ein gesetzlicher Feiertag werden.



Der 24. Juni ist St.Johannis, der Tag der Sonnwendfeuer. Besonders beliebt in Skandinavien (Midsommar) und im Baltikum: Im Sommer wird es dort kaum dunkel ("Weiße Nächte").

Am 29. feiert die katholische Christenheit "Peter und Paul": zwei Heilige zum Preis von einem.



Der muslimische Fastenmonat Ramadan beginnt dieses Jahr am 18. Juni und endet am 16. Juli. Der muslimische Kalender ist nämlich, wie auch der jüdische, ein Mondkalender und verschiebt sich gegenüber dem (auf dem Sonnenjahr basierende) christlichen Kalender.



JULI oder auch -EI; am 4. feiern die USA, am 14. die Franzosen ihre jeweiligen Nationalfeiertage. Die Amerikaner feiern an diesem Datum, weil es auf ihrer Unabhängigkeitserklärung steht ("Independence Day"), und die Franzosen feiern des Jahrestag des Sturms auf die Bastille ("Fête nationale"), eines gehassten Gefängnisses, und obwohl sie keine nennenswerten Helden dabei befreiten, gilt das als Beginn der Französischen Revolution.

Die Revolution schuf ihren eigenen Kalender, der sich jedoch nicht durchsetzte
Der 12. Juli ist einer der dümmsten Gedenktage, die die Menschheit erfunden hat. Der nordirische protestantische Oranierorden begeht den Tag mit Gedenkmärschen (bei denen Pfeifen und große Trommeln eine wichtige Rolle spielen) und zieht dabei zwecks Provokation vorzugsweise durch katholische Wohnviertel. Man gedenkt dabei der "Battle of the Boyne", des Siegs Wilhelms von Oranien (Protestant) über die katholischen Iren unter König Jakob II im Jahre des Herrn1690. (!!)



AUGUST Seltsam, dass der Monat an sich ja "der Erhabene" heißt, aber auch mit einem Zirkusclown der einfachsten Sorte den Namen teilt. Ursprünglich heißt er nach G.I.C. Octavianus, genannt Augustus.



Im alten keltischen Jahr ist der 1. August Lúnasa (im Walisischen heißt der Beginn des Monats "Calan Awst" [die "Kalenden des August]"!), bei den (nicht-keltischen) Angelsachsen war der 1. August "Lammas", der Erntetag (des Korns). Das keltische Jahr kennt vier große Feiertage: Imbolg (Anfang Februar), Beltane (Anfang Mai), Lúnasa und Samhain (Anfang November – das Ende der Ernte und der Beginn der dunklen Zeit).



Ein wichtiges historisches Datum war Mitte August 1947, als das ehemalige British India unabhängig wurde – zum Leidwesen Gandhis wurden zwei Länder daraus, Indien und Pakistan, die sich bis heute in herzlicher Abneigung verbunden sind.



SEPTEMBER ist nicht (mehr) der siebente, sondern seit 153 v.u.Z. der neunte Monat des Jahres.

Am 29. ist der Michaelistag, ein Wandeltag wie Mariä Lichtmess oder der Martinstag. Ansonsten bietet der September nicht viel Bemerkenswertes, außer dass in Bayern Mitte September das neue Schuljahr beginnt und Ende September das Oktoberfest.



Ein Ereignis, das fast schon zum Symbol einer neuen Dimension des Schreckens geworden ist, war 2001 "Nine Eleven" (oder "9/11"): der Anschlag auf das World Trade Center an einem Dienstag zur besten Sendezeit.



OKTOBER Am 3. des Monats feiern wir unseren Nationalfeiertag. Feiern? Wir? Naja, man muss die Feste feiern, wie sie fallen...Spaß beiseite: Fragen Sie einmal in Ihrem Bekanntenkreis herum, warum wir ausgerechnet an diesem Tag den "Tag der deutschen Einheit" feiern!viii



A propos feiern: Das Oktoberfest in München, die "Wiesn," ist ein organisiertes Massenbesäufnis für Millionen von Menschen, hat aber eigentlich auch keinen rechten Anlass. Am 26. Oktober ist Gallustag: im alten bäuerlichen Kalender das Ende der Erntearbeiten (die protestantische Kirche feiert am ersten Sonntag im Oktober Erntedankfest).



NOVEMBER "Remember remember the 5th of November" – Als A.D. 1605 eine Gruppe von katholischen Umstürzlern (heute würde man vielleicht von "Terroristen" sprechen) versuchte, das Parlament in London, oder genauer: das englische Oberhausix, in die Luft zu jagen, wurde der Anschlag verraten und Guy Fawkes in flagranti erwischt. Dies führte zu seiner Hinrichtung – damals eine beliebte Volksbelustigung – und in folgenden Jahrhunderten zu Freudenfeuern für alle.



Am 11. November ist Martinstag (rabimmel rabammel, etc). Manche lassen den Fasching an diesem Tag beginnen. Es war auch Zinstag; Abgaben an Obrig- und Geistlichkeit waren jetzt fällig, Pachtverträge wurden erneuert, und für Dienstboten und Gesinde war Wandeltag (vgl. oben unter Februar)



DEZEMBER – alter Name: Julmond (später auch Christmond). Jul war ursprünglich das germanische Fest zur Wintersonnenwende (längste Nacht); In den nordischen Ländern heißt Weihnachten Jul (oder ähnlich), in England neben Xmas (das ist tatsächlich eine alte Schreibung!)Yule(tide)

Das Weihnachtsfest ist also eine Aneignung eines heidnischen Fests wie ähnlich auch des Osterfestes durch das Xtentum. So etwas geschah im Übrigen auch mit anderen Kulttagen und Kultorten.



Dezember ist natürlich auch der Monat der christlichen Adventszeit; der Nikolaustag am 6. Dez – übrigens kein offizieller Feiertag der katholischen Kirche mehr – wird heute noch viel gefeiert.

St.Nik(o)la(u)s (daher Klaus) ist eigentlich sozusagen Türke (Bischof von Myra in Kleinasien, d.h. in dem Gebiet der heutigen Türkei). Zahllose Bräuche v.a. im deutschsprachigen Raum, bes. im Alpengebiet erinnern an ihn.



Zusehends überlagert durch den Hohoho-Weihnachtsmannx, der mit Rentierschlitten kommt, sich durch Kamine zwängt und Socken füllt – alles im Dienste der Coca Cola Company, deren Erfindung er ist. In Deutschland wurde er traditionell als Bischof dargestellt und hatte oft einen Begleiter (Knecht Ruprecht/rauer Percht, Krampus), der unverkennbar heidnische, oder zumindest vorchristliche Züge aufweist.



Das Weihnachtsfest sei hier völlig ausgespart: 2 ½ Tage Völlerei und haufenweise Geschenke sollen an ein unbehaustes Kind mit Migrationshintergrund erinnern, das vor über 2000 Jahren lebte; der Kontext ist wohl den meisten Lesern klar. Es soll ja – das nur nebenbei - nicht stimmen, dass übrig gebliebene Schoko-Nikoläuse angeblich zu Schokohasen umgeschmolzen würdenxi.



Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr nennt man umgangssprachlich noch heute gern „zwischen den Jahren“; das bezieht sich eigentlich auf die 12 "Rauhnächte", d. h. zwischen Weihnachten und dem Dreikönigsfest am 6. Jan. Das ist die Zeit, in der Wotans Wilde Jagd über die Himmel reitet; ihr gehört übrigens auch Hulda an, die man aus dem Märchen als Frau Holle kennt.

Im Englischen spricht man von The Twelve Days of Xmas, mit denen sich eine Reihe interessanter Bräuche und ein beliebtes Weihnachtslied verbinden



Silvester (oder Sylvester) wg. Todestags des Papst Sylvester I (AD 335); um böse Geister zu vertreiben, fackelt man am letzten Tag des Jahres Feuerwerksraketen (optische Komponente) und Böller (akustisch) ab. Böse Geister mögen offensichtlich auch keinen Schaumwein; man trinkt daher Sekt zum Jahresanfang.

Dinner for One ist jedoch nicht zwingend vorgeschrieben.



Ach ja: welches Jahr schreiben wir eigentlich?



5775 seit Erschaffung der Welt (jüdische Tradition; unklar, ob Vor- oder Nachmittag)

2768 ab urbe condita (MMDCCLXVIII) (seit Gründung der Stadt Rom)

2015 Anno Domini (im Jahr des Herrn); alternativ für Atheisten: .u.Z. ( unserer Zeitrechnung)

1436 seit der Hidschra (= der Umzug des Propheten von Mekka nach Medina)

226 im Kalender der (Französischen) Revolution; unpraktikabel, daher abgeschafft

bzw. 0 Pictun 13 Baktun 0 Katun 2 Tun 7 Uinal 1 Kin (7 Imix; 9 Uo) (Maya-Kalender)








i Eine alte Rechtsformel; streng genommen waren es "ein Jahr, 6 Wochen und drei Tage" und bezog sich auf die Verjährungsfrist von Kaufverträgen o. ä.


iiKaiser Wilhelm II


iiiZwei Präsidenten zum Preis von einem! (Vgl. Peter&Paul im Juni)


ivGenau genommen sind es 365,24219 Tage. Das muss ebenfalls korrigiert werden: In Jahren, die auf 00 enden, entfällt der Schalttag, es sei denn, sie sind durch 400 teilbar, dann sind sie doch Schaltjahre (vgl. etwa das Jahr 2000)


vAn die Schreibweise werde ich mich nie gewöhnen. Angeblich wirde das Wort in der [gar nicht mal mehr so] Neuen zuRechtschreibung geändert, weil es das einzige deutsche Wort wäre mit -auh hinten. Ja und? Was ist mit blauh?


viDie Amerikaner wählen alle vier Jahre einen Präsidenten, und zwar am " Tuesday after the first Monday of November in leap years." (d.h., der Wahltag ist ein bewegliches Fest). Andere wählen, wenn's nötig ist.


viiEine recht vollständige Liste aller greifbaren Nationalfeier-, Gedenk- und Aktionstage findet sich bei Wikipedia ( http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Gedenk-_und_Aktionstagen ); zu den ältesten und bekanntesten zählen der Muttertag (2. Sonntag im Mai) und der Tag des Baumes (in Deutschland am 25. April). Sehr schön sind auch der Tag der Blockflöte (10. Januar), der Weltpinguin-Tag (25. April) oder der Weltlachtag (am 1. Sonntag im Mai).


viiiDer frühere Nationalfeiertag war begründet als Tag des Volksaufstandes in der (damals noch "SBZ", also Sowjetisch Besetzten Zone) am 17. Juni 1953. Der 3. Oktober durch das "Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland"


ixEigentlich hatten es die Verschwörer auf König Jakob abgesehen, der zur Parlamentseröffnung im House of Lords gewesen wäre, und darum schmuggelte man auch etliche Pulverfässer in einen Keller unter dem Parlament. Dass die Parlamentseröffnung in diesem Jahr wegen der Pest um mehrere Monate auf Anfang November verschoben werden sollte, konnte ja keiner ahnen...


x Dieser dicke Mann ist mitnichten der Nikolaus, sondern Father Christmas; interessanterweise gibt es in Russland Дед Мороз, "Väterchen Frost". Ho ho ho!


xiVergleichbar der Umwidmung des Julfests in das Weihnachtsfest...