Mal was über Orange.

Orange?

Samstag, 30. August 2014

COMPUTARE MODO ROMANO

Am Anfang war der Finger. Damit kann man zählen: insgesamt bis zehn – daher vermutlich unser Zehnersystem. Wenn wir schreiben, etwa, wenn wir eine bestimmte Anzahl von Tagen im Kerker sitzen müssen, machen wir vielleicht eine Strichliste: vier senkrechte Striche, vier Tage; der fünfte Tag: ein schräger Strich quer durch: so behält man die Übersicht. Mit der Zeit wird’s aber dann doch etwas schwerfällig. Dann suchen wir Alternativen.




Es ist reizvoll, sich vorzustellen, dass die alten Römer ihr System aus der Strichliste entwickelten. Bis sie in eine Sackgasse gerieten. Umso erstaunlicher ist es, dass römische Ziffern heute noch vielfältig Verwendung finden: an öffentlichen Bauwerken, auf Zifferblättern, in dicken Büchern mit wissenschaftlichem Anspruch, zur Bezeichnung von Monaten usw. Warum aber Sackgasse? Nun, sie sind schwer zu handhaben, besonders, wenn man große Zahlen schreiben will; es gibt keine Null Rechnen ist mit ihnen glatt unmöglich, und andere systemische Fehler.



Schauen wir genauer hin. Drei I sind drei; V entspricht dem oben erwähnten Querstrich, und X ist ein V und ein umgekehrtes, auch logisch. 1, 5 und 10 sind nachvollziehbar, ihre Vielfachen nicht ohne Weiteres: 50, 100, 500, 1000. Die Römer schrieben dafür L, C, D und M. Weiter ging es übrigens meistens1 nicht. Da C für centum (hundert) steht und M für mille (tausend), fragt man sich, woher L und D kommen. Das ist nicht endgültig geklärt.



Versucht man, römische Ziffern2 anzuwenden, gerät man bald an Grenzen, seine eigenen und die des Systems. Dieses Jahr geht gut: MMXIV – facile3! Das Jahr 1789 war, mit römischen Ziffern geschrieben, MDCCLXXXIX. Kein Wunder, dass die Revolutionäre (das Jahr der Französischen Revolution!) ein ganz neues System einführten, (l'an I de la liberté – "Jahr 1 der Freiheit")4 Aber wir können ja nicht jedes mal, wenn wir Schwierigkeiten mit einer Zahl haben, eine Revolution anzetteln! (Das gäbe zahllos viele Umstürze!). Wie steht's mit anderen großen Zahlen? Drücken Sie mal das Jahr 1993 auf die römische Weise aus! Na?



Gut, erst nochmal die Spielregeln:

  1. Die Ziffern folgen in Leserichtung von groß nach klein, also: M D C L X V I
  2. Ein Wert wird von einem größeren abgezogen, wenn die kleinere Ziffer links von der größeren steht.
  3. Wiederholungen sind in Grenzen erlaubt: M,C,X,I können (normalerweise) nur dreimal, die anderen besser nicht wiederholt werden.
  4. Null gibt es nicht5!
  5. Das System kennt keinen Stellenwert. Das heißt: M heißt immer 1000, ganz egal wo es steht in der Ziffernfolge. Im indo-arabischen System, das wir verwenden, hat die 7 im folgenden Beispiel 3 verschiedene Wertigkeiten:
        745717:
        Die 7 ganz links hat den 'Wert' 700000, die mittlere steht für 700, und die 7 rechts gilt 7.



So, jetzt zurück zu 1993. Folgende Schreibweisen wären irgendwie plausibel, oder zumindest hat es den Anschein. MVIIM (2000 – 7, aber eigentlich nicht erlaubt) MDCCCLXXXXIII (quasi ausgeschrieben, aber unübersichtlich), MCMXCIII (mehrere grenzwertige Wiederholungen, aber einigermaßen klar).

Nun zum Rechnen: Das System erlaubt nicht einmal einfache Addition oder Subtraktion: XII + XVII = XXIX. Das stimmt zwar, aber wie kommt man dazu? und wieso ist C – XXVII = LXXIII?

Multiplizieren? Potenzen?? minime6!!

Das Interessante ist, dass unsere Rechenweise – 10 Ziffern (1,2,3,4,5,6,7,8,9 und eben auch die 0), das Komma und ein Stellenwertsystem – so viele komplizierte Berechnungen und Operationen zulässt, dass man anfängt, sich zu wundern. Die Ingenieurskunst der Römer, die Bürokratie ihrer Verwaltung und die Organisation ihrer Truppen – all das kannte nur diese unbeholfene Mathematik.

Aber bei den anderen Hochkulturen der Antike, von Ägypten bis Mesopotamien, kannten meist nur ähnlich komplizierte, zumindest für uns sehr undurchsichtige Rechenweisen7.



Das gilt auch für die Griechen, trotz Pythagoras, Euklid & Co. Sie benutzten Buchstaben für Zahlenwerte, kannten aber immerhin so etwas wie die Null. Auch die alten Hebräer hatten ein 'alphabetisches' Zählsystem, das zwar verwirrt, andererseits und gerade deshalb der 'Gemattrie' Vorschub leistete, einer Zahlenmystik von stupender Komplexität und stupider Nutzanwendung. Will sagen: geheimnisvollem Unsinn. Etwa nach dem Motto: Wenn Buchstaben Zahlen sind, haben auch Wörter einen Zahlenwert8. Ganze Texte sind also Zahlencode und bergen mystische Geheimnisse, wenn man die Zahlen richtig versteht. Das heißt natürlich dass immer das aus einem Text herausgelesen werden kann, was man vorher hineingeheimnist hat. Aber das ist eine andere Geschichte....

und das alles mit diesen komplizierten Zahlen berechnet?


Die Römer waren dagegen nüchterne, solchem Unsinn9 dann doch eher abgeneigte Praktiker. Auch wenn ihr Zahlensystem etwas unpraktisch war.

Die Anmerkungen:..




1  'meistens' heißt hier: es gibt kompliziertere Weiterentwicklungen, aber die sind noch unverständlicher und unnötiger. Was für Mathematiker und Masochisten.


2  D ist hier die Ziffer, sie steht für die Zahl 500. Ziffer und Zahl sind Zeichen und Bezeichnetes; man sollte sie nicht verwechseln.


3  lat.: "leicht"


4  Der revolutonäre Kalender wurde allerdings erst 1792 eingeführt; das Revolutionsjahr liegt vor der Zählung!


5  das hat massive Folgen, die demnächst an diesem Ort Thema sein sollen.


6  lat.: "mitnichten"


7 trotz aller technischen Probleme, die die Keilschrift in Sachen Lesbarkeit bietet, waren die alten Babylonier ausgefuchste Mathematiker. Das war jedoch sehr die Ausnahme.


8  Offenbarung 13, 18: "Wer Verständnis hat, berechne die Zahl des Tieres! Denn es ist eines Menschen Zahl; und seine Zahl ist 666." - "The number of the beast." Oder als T-Shirt-Spruch: 667: the neighbor of the beast...


9  ein kleines Beispiel für Textmystik: Im englischsprachigen 46. Psalm der King James Bible ist das 46. (!) Wort von Anfang her gezählt "shake" und das 46.(!!) von hinten "speare". Was beweist uns das? Nichts!