Mal was über Orange.

Orange?

für Sie gelesen...




 ...und doch nicht alles verstanden

Lektüren der eigentümlichen Art

Nummer 1: Ein Liebesbrief von vor fast 100 Jahren

Dem Schreiben fehlt vielleicht die einfühlsame Sensibilität einer SMS von heute, aber es ist auf jeden Fall korrekt. Es entstammt nämlich einer (leider undatierten) Sammlung von Musterbriefen, einem sogenannten Briefsteller.


Und hier, der besseren Lesbarkeit wegen, der Text in Arial statt in Fraktur:

Breslau, am 3. Juli 19..

Sehr geehrtes Fräulein!
Die freundlichen Worte, die Sie neulich über mich zu Ihrem Herrn Bruder geäußert haben, verpflichten mich zu dem lebhaftesten Danke. Entfernt zu glauben, daß ich dieses Wohlwollens schon würdig bin, bin ich vielmehr überzeugt, daß ich Ihr freundliches Urteil einzig und allein Ihrer mehr als gütigen Nachsicht zuzuschreiben habe; doch darf ich Ihnen versichern, daß ich alles tun werde, Ihre gute Meinung mir zu erhalten. Der Gedanke an das mir geschenkte Wohlwollen wird mich dabei am sichersten unterstützen; ich werde es nicht nur mir zur besonderen Ehre, sondern auch zu den angenehmsten Freuden und Pflichten meines Lebens zählen, Ihnen recht oft beteuern zu dürfen, wie groß die Verehrung ist, die Ihnen so gern aus vollem Herzen widmet

Ihr
Ihnen ganz ergebenster
Karl Schulze.


  Nummer 2: Sabinchen (annotated version)




Sabinchen (1) war ein Frauenzimmer (2),
Gar (3) hold (4) und tugendhaft (5)
Sie diente treu und redlich (6) immer
Bei ihrer Dienstherrschaft (7).
Da kam aus Treuenbrietzen (8)
Ein junger Mann daher,
Der wollte so gerne Sabinchen besitzen (9)
Und war ein Schuhmacher (10).

Sein Geld hat er versoffen
In Schnaps und auch in Bier
Da kam er zu Sabinchen geloffen
Und wollte welches von ihr

Sie konnt ihm keines geben
Drum stahl sie auf der Stell
Von ihrer treuen Dienstherrschaft
Sechs silberne Blechlöffel

Doch schon nach siebzehn Wochen
Da kam der Diebstahl raus,
Da jagte man mit Schimpf und Schande
Sabinchen aus dem Haus

Sie sprach "Gottvergessener
(Sie rief: Verfluchter Schuster )
Du rabenschwarzer Hund!"
Der nahm sein krummes Schustermesser
Und schnitt ihr ab den Schlund.

Ihr Blut zum Himmel spritzte
Sabinchen fiel gleich um;
Der böse Schuster aus Treuenbrietzen,
Der stand um sie herum

Sie tat die Glieder strecken
Nebst einem Todesschrei
Den bösen Wicht tun jetzt einstecken
zwei Mann der Polizei

In einem finstren Kellerloch
Bei Wasser und bei Brot,
Da hat er endlich eingestanden
Die schaurige Freveltot

Und die Moral von der Geschicht
Trau keinem Schuster nicht!
Der Krug, der geht so lange zum Wasser
Bis daß der Henkel bricht

Der Henkel ist zerbrochen
Er ist für immer ab
Und unser Schuster muß nun sitzen
bis an das kühle Grab

Fußnoten:
  1. Der Vorname Sabine bedeutet "vom Stamm der Sabiner" und erinnert natürlich an den "Raub der Sabinerinnen", ein extrem beliebtes Sujet in der abendländischen Kunstgeschichte. Der Grund ist offensichtlich, erlaubt es das Thema dem Maler doch, eine größere Zahl unbekleideter Damen unterzubringen. Die Sabine des Liedes ist jedoch – so deutet es der Zeichner der "Musenklänge" zumindest an – eher eine ältliche Jungfer und auf jeden Fall tugendsam. Auch wird sie nicht geraubt, sondern lediglich umgebracht.
  2. Dem "Frauenzimmer" – heute eher selten geworden – steht interessanterweise das "Mannsbild" gegenüber.
  3. Das Wörtchen "gar", normalerweise eine Verkürzung von "sogar", hat hier eher die Funktion eines "sehr", "überaus". Laut Duden ist dies besonders dann der Fall, wenn es "unbetont" ist.
  4. Das Wort "hold" ist aus der deutschen Alltagssprache fast völlig verschwunden und existiert eigentlich nur noch in einigen Redewendungen ("Das Glück ist ihr hold" u.ä.). Ursprünglich und poetisch vielleicht immer noch heißt es, ich zitiere erneut den Duden, "anmutig, lieblich, von zarter Schönheit". Und nun schauen Sie sich das Bild aus den "Musenklängen" nochmals an: - - - : gell?
  5. "Tugendhaft" – wem die Tugend so anhaftet wie der guten Sabine, erlebt sie vielleicht als Haft, aus der ein Entkommen einerseits schwer ist, andererseits willkommen wäre. So opfert sie ihre Tugend dem ersten besten Hallodri, der ihres Wegs kommt. Tugend ist übrigens relativ und je nach Zeit und Umständen verschieden.
  6. "Redlich" ist rechtschaffen und ehrlich, dass man darob jederzeit Rechenschaft ablegen könnte, wenn man zur Rede gestellt würde. Und dann stiehlt die Gute später "silberne Blechlöffel"!
  7. Sabine, die Unschuld vom Lande, ist, wie viele ihrer Zeit- und Altersgenossinnen, in Stellung bei einer gutbürgerlichen und vermutlich wohlhabenden Familie in der Stadt (bei ihr sind sogar die Blechlöffel silbern). Wie andere Dienstboten auch hatte sie vermutlich einen langen Arbeitstag, kargen Lohn und keine Aussicht auf eine Besserung der Lage – außer durch Heirat. Auch das macht aus ihr eine leichte Beute.
  8. Treuenbrietzen – der Name könnte erfunden sein, ist es aber nicht. Es gibt den Ort wirklich, und zwar in Brandenburg, in der Nähe von Potsdam (52° 5′ 50″ N, 12° 52′ 16″ E). Treuenbrietzen hat auch einen Internetauftritt (http://www.treuenbrietzen.de) und ein Sabinchen-Denkmal.
  9. Luther schreibt "erkennen", wenn er vom Beischlaf spricht. Hier heißt es "besitzen"
  10. Er war als "junger Mann" (vgl. 2 Zeilen vorher) wandernder Schuhmacher-Geselle. Heute gehen nur noch Zimmermannsgesellen "auf die Walz"; früher war dies in vielen Handwerken üblich, man denke etwa an "Das Wandern ist des Müllers Lust" oder Hannes Waders Lied "Heute hier, morgen dort / bin kaum da, muss ich fort /..."
Hintergrund
Das Lied ist eine Moritat, oder besser gesagt Parodie einer solchen, denn in der Drastik der Handlung und den z.T. doch arg schrägen Reimen ist es deutlich übertrieben. Es erschien bereits 1849 in der humoristischen Liedersammlung "Musenklänge aus Deutschlands Leierkästen"; der Verfasser ist unbekannt.
In den folgenden Jahrzehnten führte das Stück ein reges Leben: es wurde in Bilderbogen (einer Art Vorläufer des Comics) verarbeitet, vertont und immer wieder und gern gesungen, so dass man in manchen Quellen die Angabe "Volkslied" findet.
Und so ist es bis heute: ein beliebtes Lied, das zwar mit Entsetzen seine Scherze treibt, das aber auch fast jeder kennt.


 Nummer 3: Der kleine Dolmetscher

erschienen in der unmittelbaren Nachkriegszeit
zur Verständigung zwischen Deutschen und der alliierten Militärregierung im amerikanischen Sektor.

Das 18-seitige Heftchen trägt keine Jahreszahl.

Man beachte die Unterscheidung zwischen Englisch und Amerikanisch auf dem Titel; im Heft wird der Unterschied nicht erkennbar.

Im Folgenden ein kurzer Auszug aus den Seiten 3 und 4.

N.B.: Das Papier ist sehr holzhaltig und entsprechend vergilbt.







Was hier auffällt, ist die damals noch recht behelfsmäßige Umschrift der Aussprache. Eine besonders originelle Beschreibung der Artikulation des berüchtigten 'th'-Lautes findet sich in einem anderen (fast ebenso vergilbten) Büchlein aus der Zeit, "Nimm...und sprich englisch" nach der Key-Methode ("Die Key-Methode ist unser von dem Autor erworbenes Alleineigentum"). Vielleicht nicht verfasst, aber "überarbeitet" von J.C.W. Franck:

Nummer 4: Engel
Was gibt es Neues im aktuellen ENGELmagazin?

Mit großen Schritten geht es auf das Ende des ereignisreichen Jahres 2012 zu. Im November und Dezember begegnen wir beidem, der Dunkelheit und dem Licht, der Trauer und der Freude. Eine gute Zeit zum Nichtstun, wie es die spirituelle Lehrerin Gayan Sylvie Winter beschreibt. Es ist Zeit für die Seele, so Bestseller-Autor Rüdiger Dahlke und Zeit für die Göttin in dir, so Karina E. Wagner.
Und es ist eine Zeit der Wunder, im Innen und im Außen. Um ein Wunder, nämlich eine zweite Chance im Leben, geht es auch in William Paul Youngs neuestem Buch: "Der Weg", das wir Ihnen vorstellen wollen. Außerdem: Das Gefühls-Zeitalter und die Welt der Kinder. Das und mehr in der sechsten Ausgabe des Engelmagazins, mit dem wir Sie auch in den letzten zwei Monaten des Jahres begleiten wollen, voll inspirierender Impulse für ein spirituell bewusstes Leben.

Das glauben Sie nicht? Schauen Sie:

Nummer 5: Die Jugend und der Jazz



---Themawechsel---

Die fünfziger Jahre waren - zumindest für den heutigen Leser - in vielem arg naiv. Aber man lernte dazu, war in manchen Fällen weltoffener, als wir glauben, aber selbst das Weltoffene las sich ziemlich wenig "politically correct". Wie zum Beispiel hier:



Rufen wir uns noch einmal die Rolle, die der Neger in diesem Zusammenhang spielte, ins Gedächtnis zurück: er ist ein „Transformator" — Transformator zwischen Urwald und Zivilisation. Seinem ganzen Gemüts- und Geisteszustand nach lebte er bis vor kurzem noch im „Urwald", auch wenn er auf den Baumwoll- und Kaffeeplantagen Amerikas arbeitete. Er ist noch wirklich „primitiv", mit allen Vorzügen und Nachteilen dieses Zustandes behaftet — und plötzlich wird er in den atemberaubenden Prozeß der Industrialisierung und Zivilisierung hineingerissen. Er, dessen Urahne kaum den Gebrauch des Hammers kannte, bedient nun eine Maschine mit vielhundert Pferdekräften. Für ihn ist sie ein lebendiges Wesen, die Lokomotive z. B. ist ihm Verkörperung und sichtbarer Ausdruck so lebendiger Urkräfte, wie es vordem Wasser, Blitz und Donner waren. Er steht als „naiver" Mensch mitten in einer ganz und gar intellektualisierten und technisierten Umwelt. So kann er sie ganz anders darstellen, ihre „Dämonen" erkennen, nachahmen und beschwören wie der Mensch, der seit Generationen in sie hineinwuchs. Der Neger bringt auch den Naturtrieb noch unverbildet und tierhaft stark in diese kultivierte, „gezähmte" Welt. Seine Vitalität triumphiert über Müdigkeit, Dekadenz, Konvention und Sitte. Er vermag diese Welt leichter zu karikieren, parodieren, persiflieren und — provozieren. Und für alles dies findet er den musikalischen Ausdruck im Jazz! Hier offenbart sich ebenso die tiefe Trauer der Kreatur, die ihre Natürlichkeit verlor, wie der Triumph des maschinenschaffenden und -beherrschenden Menschen; im Jazz träumt der Neger von der verlorenen „Heimat" und parodiert — bald milde-nachsichtig, bald frech-provozierend — die neue Umwelt. Es gibt eine Reihe hervorragender Jazzstücke, die nur als beschwörende Nachahmung der Maschine zu verstehen sind — wobei wir natürlich nicht nur an eine bestimmte Maschine denken dürfen, sondern an den ganzen, uns umgebenden Apparat. Aber auch dort, wo solche Absicht nicht direkt spürbar ist, liegt dem Jazz weithin der zwingende Maschinenrhythmus zugrunde, über den der Mensch im freien Spiel triumphiert. Zwischen Magie und Spiel bestehen sehr enge Beziehungen; das Spiel war häufig ein magisches Mittel. Nicht von ungefähr sind daher viele unserer Kinderspiele bis heute reine Nachahmungsspiele. Und wie das Kind durch Spielen verwandelt werden kann, weiß jede beobachtende Mutter.

Twittenhoff, Jugend und Jazz, Mainz 1953, S.75f

Wir schreiben das Jahr 2008. Wir sind (endlich!) auf Island, und da wir der Spraache nicht mächtig sind, haben wir ein kleines Langenscheid-Wörterbuch dabei. Zugegeben, es ist von 1980, aber Langenscheid ist doch Langenscheid...

Das Büchlein enthält sogar ein paar nützliche Redewendungen, wie z.B. hier:


Das Nette an der Sache ist nur, um einmal das Island-Lexikon.de zu zitieren: "Es gibt auf Island keine Eisenbahn." Auch 1980 nicht...

Nochmals zurück in die Fünfziger:

"Die höheren Schulen bringen die wissenschaftlichen, technischen und kaufmännischen Fähigkeiten der amerikanischen Jugend zur Entfaltung. Die jugendliche Freude an der Anwendung des eben Gelernten findet dabei oft einen spielerischen Ausdruck."
Aus:
Wissenswertes über USA.


Herausgegeben vom US Informationsdienst, Bad Godesberg. 1956


Noch eine Kostprobe?



entnommen, wie gesagt:



































Aus einem Flyer (das nannte man damals aber noch nicht so) für das Wachsfiguren-Kabinett von Mme.Tussaud in London. Wir schreiben das Jahr 1972..



.




Geschichten vom nuklearen AtomKern und von seinen Gegnern
(eine Ergänzung)

OLD MAN ATOM
(Talking Atomic Blues) 1945



Geschrieben
von Vern Partlow, der u.a. wegen dieses Lieds vom House Committee on Un-American Activities als Kommunist verdächtigt wurde und seinen Job verlor (er war Journalist).

Berühmt wurde das Lied durch Sam Hinton (Bild), der es auf dem Newport Folk Festival 1963 vortrug (übrigens ist das auch das Festival, das Bob Dylan bekannt machte).

Eine andere Fassung ist auf YouTube zu hören:

Well, I'm gonna preach you a sermon 'bout Old Man Atom,
I don't mean the Adam in the Bible datum.
I don't mean the Adam that Mother Eve mated,
I mean that thing that science liberated.
Einstein says he's scared,
And when Einstein's scared, I'm scared.

Hiroshima, Nagasaki, Alamogordo, Bikini...

Here's my moral, plain as day,
Old Man Atom is here to stay.
He's gonna hang around, it's plain to see,
But, ah, my dearly beloved, are we?
We hold these truths to be self-evident
All men may be cremated equal.

Hiroshima, Nagasaki -- here's my text
Hiroshima, Nagasaki -- Lordy, who'll be next.

The science guys, from every clime,
They all pitched in with overtime.
Before they knew it, the job was done;
They'd hitched up the power of the gosh-darn sun,
They put a harness on Old Sol,
Splittin' atoms, while the diplomats was splittin' hairs . . .

Hiroshima, Nagasaki -- what'll we do?
Hiroshima, Nagasaki -- they both went up the blue.

Then the cartel crowd put on a show
To turn back the clock on the UNO,
To get a corner on atoms and maybe extinguish
Every darned atom that can't speak English.

Nun etwas zum Auswendiglernen: ein "NOVELTY SONG".
Warum sowas 'novelty' heißt, ist nicht so ganz offensichtlich; es handelt sich meist um schräge Nummern aus der Mottenkiste der amerikanischen Unterhaltungsindustrie.
Bei I'm My Own Grampa handelt es sich um verzwickte Familienverhältnisse; auf Youtube gibt es eine Reihe von graphischen Darstellungen, etwa I'm My Own Grampa (mit Grafik). Musikalisch ist vielleicht I'm My Own Grampa musikalische Version am schönsten...

Hier nun, wie versprochen, der Text zum Auswendiglernen (und Mitgrölen?)

"I'm My Own Grandpa"

Many, many years ago
When I was twenty three
I was married to a widow
Who was pretty as could be

This widow had a grown-up daughter
Had hair of red
My father fell in love with her
And soon the two were wed

This made my dad my son-in-law
And changed my very life
My daughter was my mother
'Cause she was my father's wife

To complicate the matters
Even though it brought me joy
I soon became the father
Of a bouncing baby boy


My little baby then became
A brother-in-law to dad
And so became my uncle
Though it made me very sad

For if he was my uncle
That also made him the brother
Of the widow's grown-up daughter
Who, of course, was my step-mother

I'm my own grandpa
I'm my own grandpa
It sounds funny I know
But it really is so
I'm my own grandpa

My father's wife then had a son
That kept them on the run
And he became my grandchild
For he was my daughter's son

My wife is now my mother's mother
And it makes me blue
Because, she is my wife
She's my grandmother too

I'm my own grandpa
I'm my own grandpa
It sounds funny I know
But it really is so
I'm my own grandpa

Now, if my wife is my grandmother
Then, I am her grandchild
And every time I think of it
It nearly drives me wild

For now I have become
The strangest case you ever saw
As the husband of my grandmother
I am my own grandpa

I'm my own grandpa
I'm my own grandpa
It sounds funny I know
But it really is so
I'm my own grandpa

I'm my own grandpa
I'm my own grandpa
It sounds funny I know
But it really is so
I'm my own grandpa

Liebe Photo-Freunde!

Es wird Sie freuen zu vernehmen, dass auch für den Amateur-Photographen genügend Handreichungen in erschwinglicher Form erschienen sind, um das Photographieren bei aller Komplexität zu einem abwechslungsreichen und interessanten Hobby zu machen. Ein Beispiel möge genügen:



Das Heft aus der Reihe Miniatur-Bibliothek, Verlag Kunst und Wissenschaft– etwa so klein wie ein Reclam-Heftchen, nur nicht so gelb (eher vergilbt) – ist im Antiquariatshandel und bei dessen billigem Cousin, dem Flohmarkt, weit verbreitet. Der Preis liegt antiquarisch heute bei 5 bis 10 €, beim Flohmarkt entsprechend niedriger. Der allererste Eintrag unter "Für Sie gelesen" stammt auch aus dieser Reihe.

Vor hundert Jahren war das Photographieren tatsächlich anspruchsvoll; wer nur die digitalen Cameras kennt, bei denen man praktisch nichts falsch machen kann, kann sich kaum vorstellen, was es alles zu beachten galt. Da dies aber nun wirklich sehr ins Technische geht (vor allem bei der Filmentwicklung), sei hier nur aus dem Vorwort zitiert.


Beim Photographieren geht es also - zusammengefasst für diejenigen, die sich mit der Frakturschrift etwas schwer tun – um das "Festhalten" "angenehmer Eindrücke" sowie "interessanter Szenen" (die man im Bild "fixieren" kann); es geht um "landschaftliche Schönheiten" und das "Aussehen lieber Freunde". Das alles mit fast unvorstellbarer "Treue" (=Ähnlichkeit) und letztlich ist es nun möglich, Erinnerungen vor dem "Verblassen" zu bewahren.

Das hört sich nicht nur treuherzig an, es klammert auch einen Großteil von dem aus, was Fotografieren heute heißt, und z.T. damals schon: die häßlichen Landschaften der Schützengräben des bevorstehenden Kriegs, Menschen, die keine Freunde sind deren Leiden aufrütteln sollen, wenn über sie berichtet wird. Vielleicht ist derartiges mit "interessante Szenen" angedeutet? Aber Kriegsreportagen, Fotostrecken über tote Tiere, die aus medizinischem Aberglauben gemeuchelt wurden, überhaupt Photojournalismus, Fotografie als Kunst, die eben nicht nur einen Augenblick bewahren will, all das ist offenbar noch nicht denkbar.

Wenn man dann an die modernen, digitalen Medien denkt, an die Beiläufigkeit, mit der heute Bilder, ja Videos von jedermann/frau und fast andauernd von nichtigen, flüchtigen Ereignissen produziert werden, dann kann man sich vorstellen, dass dem Autor unseres kleinen Büchleins schwindlig geworden wäre. Er bleibt übrigens ungenannt.
Anmerkungen

Das Büchlein ist undatiert; es scheint kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges entstanden zu sein, etwa 1910-1914.

Ceci n'est pas une pipe" ist ein relativ bekanntes Bild des Surrealisten Magritte. Er verweist auf die an sich naheliegende Tatsache, dass die Darstellung einer Sache (ihr Bild, also das Zeichen) nicht das Dargestellte (das Bezeichnete) ist. Was er nicht darstellt, ist die ebenso naheliegende Wahrheit, dass ein Bild noch viel mehr sein kann.

Aus Forschung und Technik &
zu Wohle der Menschheit:
Der alte Fritz - sprachlos:
"Towe Nüsze kas esse andangensyn swyntins"

Versuchen Sie einmal zu erraten, worum es in obigem Zitat geht.
Raten Sie außerdem, was das für eine Sprache ist.

Zwei kleine Hilfestellungen:
Der Inhalt dürfte Ihnen wohlbekannt sein.
Was die Sprache angeht: Es handelt sich um eine inzwischen ausgestorbene europäische Sprache.

Sie kommen nicht drauf? Kaum verwunderlich, wie Sie gleich feststellen werden.
Daher erst noch einmal zwei kleine Tipps:
Es handelt sich um ein Bibelzitat, und die Sprache hat zwei Verwandte, deren Herkunftsländer sogar Mitgliedsstaaten der EU sind.

Letzter Tipp: Es hat nichts, aber auch gar nichts mit Nüsse und Käse essen zu tun.

Gut, das war jetzt wirklich gemein, aber doch auch interessant. Das Bibelzitat ist die erste Zeile vom Vaterunser, und zwar in altpreußischer Sprache aus dem 15. Jahrhundert.

Altpreußisch ist, wie Sie sicher wissen, eine indoeuropäische Sprache, und zwar aus der baltischen Sprachfamilie. Ihre nächsten heutigen Verwandten sind Lettisch und Litauisch; zu den ausgestorbenen baltischen Sprachen gehören neben Altpreußisch zum Beispiel auch Kurisch und Jatwigisch. Altpreußisch starb bereits im 17. Jahrhundert aus, vermutlich mangels Interesses.

Wir befinden uns nämlich am östlichen Ende des ehemaligen Deutschen Reichs, in (und um) Ostpreußen, um genau zu sein, und das hat eine bewegte, wenn auch komplizierte Geschichte1. Die Gegend war ursprünglich von den Prussen besiedelt (kein Druckfehler!), die baltische Dialekte sprachen und ansonsten so weitab von der Weltgeschichte hausten, dass sich Jahrhunderte lang kein Mensch für sie interessierte. Als der Deutschritterorden Ende des 13. Jahrhunderts anrückte, war es dann zu spät: Die Prussen wurden (wie andere baltische Völker) in den nächsten Jahrhunderten mehr oder weniger ausgerottet, und ihr Land weitgehend von deutschstämmigen Siedlern beansprucht.

Interessant an dieser Geschichte ist, dass Preußen nach den Opfern dieser Landnahme benannt ist, und nicht nach den Siegern. Das später in Deutschland so dominante Preußen hat nämlich mit den Prussen weiter nichts, und mit deren Sprache, dem Altpreußischen eben, rein gar nichts zu tun. Wer gedacht hat, dass beispielsweise der Preußenkönig Friedrich II, der Alte Fritz (das "frankophile Flötenmonster", wie Ch. Stählin ihn nennt) etwa (Alt)Preußisch gesprochen habe, irrt sich sehr: der sprach nämlich meist Französisch2.

Obwohl in altpreußischer Sprache wenig überliefert ist, gilt die Sprache als besonders archaisch; obwohl miteinander verwandt, sind die baltischen Sprachen untereinander nicht verständlich. Dabei sind die noch lebenden baltischen Sprachen Lettisch und Litauisch einander näher als Altpreußisch.
1Das Zitat ist dem sehr lesenswerten Buch entnommen: Norman Davis, Vanished Kingdoms. The History of Half-Forgotten Europe. London 2011. Dt. Ausgabe: Verschwundene Reiche: Die Geschichte des vergessenen Europa (Theiss) 2013
2vgl. Kaiser Karl V: "Spanisch spreche ich mit Gott, Italienisch mit Frauen, Französisch mit Männern und Deutsch mit meinem Pferd." Angeber!

aus dem neuen Aldi (Süd) Prospekt:
"Barbecue" heißt das Grillen heute oft, weil das auf Amerikanisch so heißt. Glaubt man. Allerdings ist das klassische Barbecue à la americaine, oder Bar-B-Q (oder BBQ,, oder wie Sie wollen), meist eine Art Räuchern. Das Fleisch wird dabei nicht auf dem Rost über glühenden Holzkohlen gegrillt, sondern (gaanz langsam) in einem "Smoker" im Rauch gegart.
Bei dem abgebildeten Angebot von Aldi Süd weiß man nun auch nicht recht: Soll man das dann (nach dem Kaufen) erst noch mal grillen, oder ist es schon gar? Auf jeden Fall sieht es sehr zerrupft aus, aber dafür ist es ja auch Pulled Pork. "Pulled" heißt hier in etwa "zerzaust".
Das Ganze gibt's bei Aldi in der Frischfleischtruhe – was eine seltsame Definition von Frischfleisch voraussetzt.
An dieser Stelle möchte ich außerdem darauf hinweisen,, dass ich keine Metzgerei besitze und auch kein eigenes Prüfsystem für Lebensmittel mein eigen nenne.
Zum Thema Serviervorschlag: Wenn jemand neben das gegrillte Fleisch fantasievoll ein Stück Butter hinlegt, dann aber die Verpackung von Aldi rumliegen läßt und offenbar mit dem Schnippeln von Kleintomaten nicht rechtzeitig fertig geworden ist (das Messer liegt auch noch rum!) - wenn so jemand meint, ich würde das von mir höchstpersönlich gewärmte Essen so auf den Tisch bringen, dann braucht der mir auch nichts von Barbie Q. erzählen...!

Edles von Lidl:

"Weihnachten wird besonders VOLLMUNDIG" verspricht Lidl1 und will uns "edle Köstlichkeiten" empfehlen wie den Château Fombrauge Saint-Emilion Grand Cru AOC Rotwein von 2011. Mit so einem
ehrfurchtgebietenden Wein alleingelassen, wüssten wir vielleicht gar nicht, wo anfangen und wo aufhören mit dem Genießen. Aber Lidl lässt uns nicht im Stich:
"Hier haben wir einen üppigen, großzügigen Stil von Saint-Emilion: toastige Eiche ergänzt die reife Frucht. Schon jetzt vergnüglich wird er sich auch noch verbessern."
Aha.
Saint-Emilion – ein Bordeaux Grand Cru (also ein 'Großes Gewächs' – vornehm für 'guter Tropfen'), dessen Qualität hier nicht infrage gestellt werden soll, der aber mit einem Literpreis von 26,66 € auch nicht gerade ein Billigheimer ist. Neben "üppig" hat er offenbar noch mehr Stile drauf (?) - wir haben ja nach Beschreibung hier "einen üppigen, großzügigen Stil" vor uns. Aber offen gestanden weiß man jetzt eigentlich auch nicht recht, was da "großzügig" sein soll. 2. Entweder "nicht kleinlich" oder "weiträumig". Auf jeden Fall eindrucksvoll üppig. Des Weiteren ist von einer "reifen Frucht" die Rede, wenngleich nicht gesagt wird, ob da Stachelbeere, Zitrone oder Birne gemeint ist. Am Ende gar noch Traube! Diese reife Frucht erfährt Ergänzung durch "toastige Eiche." Eiche? Wir assoziieren brav "Holzfass" und wundern uns nur über das "toastig." Wir Freunde des schottischen Whiskys sind ja allerhand gewöhnt, und bei Whisky nähme uns sogar "torfig" nicht wunder (bei Laphroig zum Beispiel) – aber "toastig"? Schmeckt dieser Grand Cru am Ende...wie Toastbrot?? Der Duden kennt das Wort "toastig" überhaupt nicht und übersetzt hilfsbeflissen aus dem Englischen: "I am as warm as toast" → "Mir ist angenehm warm."
Na schön. Wir stellen fest: Dieser Wein ist lustig ("vergnüglich") und verspricht – wobei er sich großzügig über die Kleinlichkeiten der deutschen Grammatik hinwegsetzt – sich auch noch zu verbessern.
Den Tropfen gönnen wir uns dann zu Ostern!
1im Prospekt gültig ab 16. 11. 2015
2Laut Duden ist das entweder "sich über als unwichtig Empfundenes hinwegsetzend; Gesinnungen, Handlungen anderer gelten lassend; nicht kleinlich [denkend]; tolerant", oder "große Ausmaße habend, weit[räumig], in großem Stil."

Das Lied vom Canapee.

Das Canapee ist mein Vergnügen,
Drauf ich mir was zugute thu,
Da kann ich recht bequeme liegen
In meiner ausgestreckten Ruh;
Tut mir’s in allen Gliedern weh,
So leg ich mich auf's Canapee

Wenn mir vor Sorgen und Gedanken
Der Kopf wie eine Drehe geht,
Ja, wenn mein Herz beginnt zu schwanken
Als wie ein Schiff, wenn Sturm entsteht,
Wenn Wind und Wellen in der See,
So leg ich mich auf's Canapee.

Ich mag so gerne Coffee trinken,.
Fürwahr, man kann mich mit dem Trank
Auf eine halbe Meile winken,
Und ohne Coffee bin ich krank;
Doch schmecket mir Coffee und Tee
Am besten auf dem Canapee.

Ein Pfeifchen Knaster ist mein Leben, [Tabak
Dies ist mein fünftes Element,
Das kann der Zunge Kühlung geben,
Wenn auch die Sonne heftig brennt;
Ich rauche, wo ich geh und steh,
Auch liegend auf dem Canapee.

Wenn ich mich in die Länge strecke,
So setzt mein Schätzchen sich zu mir
Und hält mir anstatt einer Decke
Ein lilienweißes Kißchen für;
Das kitzelt in der großen Zeh
Auf meinem lieben Canapee

Wenn mir an heißen Sommertagen
Die Betten zu beschwerlich sind,
Muß mir mein Canapee behagen
Allwo ich kühle Ruhe find';
Da beißen mich auch keine Flöh,
Auf meinem lieben Canapee.

Gesetzt, ich werde auch malade, [krank
Daß ich ein Patiente bin,
In Schwach- und Krankheit ich gerathe,
Rekolligiret sich mein Sinn, [erholt
Das letzte schmerzliche Adieu
Zu sagen auf dem Canapee.


Soll ich auf diesem Lager sterben,
So halt ich wie ein Lämmchen still;
Ich weiß, mein Geist kann nicht verderben,
Er spricht: Herr, es gescheh dein Will'
Die Seele schwingt sich in die Höh,
Der Leib liegt auf dem Canapee

Ein bereits um 1840 verbreitetes Gedicht, hier zitiert aus
"Als der Großvater die Großmutter nahm. Ein Liederbuch für altmodische Leute",
herausgegeben von Gustav Wustmann (1885).






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