Mal was über Orange.

Orange?

Comics - die Neunte Kunst

Warum eigentlich "die Neunte Kunst"?
                                             Weil die anderen acht schon vergeben waren...



Als eines der ältesten Comics gilt The Yellow Kid von Richard F. Outcault [oben]. Es ist ein wenig umstritten, ob das überhaupt ein Comic ist, denn es fehlen wichtige Merkmale, wie Sprechblasen, speed lines, ja überhaupt panels, also die für den modernen Comic so typischen "Einzelbilder".
Dafür zeichnet the Yellow Kid (vorne mit Napoleon-Hut) ein charmantes Bild von der noch jungen Einwanderer-Gesellschaft Amerikas. Das Beispiel stammt aus dem Jahre 1896:


Ein wahrhaft wunderlicher Comic ist George Herrimans Krazy Cat [unten]: liebenswerte Tier-Anarchisten in einer surrealen Landschaft und dazu teilweise sehr schräge Sprachspielereien. Es lohnt sich dabei allerdings schon, wenn man gut Englisch kann...
Die Serie entstand in den Zwanzigern bis Vierzigern in Amerika (Weltkriege und Weltwirtschaftskrise bilden quasi den Hintergrund.)

Ein ästhetischer Höhepunkt der "Neunten Kunst", wie man die Comic Art auch oft nennt, ist zweifellos Winsor McCays Little Nemo: reinster Jugendstil! Die Handlung: In seinen Träumen bewegt sich der kleine Nemo in einem magischen Fantasieland namens Slumberland, aber am Schluss einer jeden Episode wacht er auf, denn er fällt aus dem Bett.


Um einmal einen Zeitsprung in die Gegenwart zu wagen, allein schon, um zu zeigen, dass es auch heute noch Comic-Künstler auf hohem Niveau gibt, sei hier der französische Zeichner Moebius vorgestellt. Eigentlich hieß er Jean Giraud und zeichnete einen realistischen Western-Comic namens Blueberry, aber auch eine Reihe von Science-Fiction-Comics, die stilbildend waren.
Giraud starb in diesem Jahr (10. März 2012)



Comics International:


Wie Päpste (1) immer und (historische, also bereits tote) Könige meist tragen auch viele Comicfiguren in anderen Kulturkreisen andere Namen:


Donald Duck heißt Andrés Önd auf Isländisch, Donaldo Anaso auf Esperanto, Kalle Anka auf Schwedisch, Paperino auf Italienisch, Pato Donald auf Portugiesisch und Spanisch, Piilupart Donald auf Estnisch.

Mickey Mouse heißt Topolino auf Italienisch, Miki Fare auf Türkisch, Mikki Mús auf Isländisch. Übrigens hieß es in meiner Jugend allgemein "die Mickymaus"; von einem Typ, der Micky hieß und mit Nachnamen Maus, war nie die Rede. Die allmähliche Einbürgerung von Mickey Mouse haben wir übrigens Frau Dr. Erika Fuchs zu verdanken, der langjährigen Übersetzerin der Disney-Comics, die auch so linguistische Perlen schuf wie "seufz!" oder "grübel, grübel"(2).

Asterix heißt Ástrikur auf Isländisch, praktisch überall sonst heißt er Asterix, (oder Asteriks)

Übrigens hieß Asterix in Deutschland nicht von Anfang an so: Der rechtskonservative Kauka-Verlag, in dem auch der deutsche Gegenentwurf zur Mickymaus erschien, ein eher geistloses Heftchen namens Fix und Foxi, hatte sich die Rechte gesichert, germanisierte die Helden zu Siggi und Babarras, aus Miraculix wurde flugs Konradin, und Majestix hieß fürderhin Mark Hein. Bis Goscinny und Uderzo Wind davon bekamen und Kauka die Rechte wieder entzogen.

Tim und Struppi heißt eigentlich Tintin (so der Titel der Reihe; der Name des Hundes, Milou, taucht im Original der Serie nicht im Titel auf), auf Isländisch Tinni (og Tobbi), Kuifje (en Bobbie) auf Niederländisch, Flämisch und Afrikaans, sonst fast durch die Bank Tintin (auch z.B. auf Färöisch und Norwegisch. Für unsere Freunde aus Esperantoland: die Rede ist von Tinĉjo (kun sia hundo Miluo)).

Fußnoten:

(1) Ein Mann vom Lande kommt zum Papst, damals noch Johannes Paul II, und wünscht ihm "alles Gute zum Namenstag, Eure Heiligkeit!" Der Papst wundert sich: Aber heute sei doch weder Johannes noch Paul?! "Aber der zweite!" spricht da unser Mann.

(2) Echte Fans nennen sowas einen "Erikativ". Wen Frau Fuchs mehr interessiert: Vor kurzem erschien ein Buch über sie: Ernst Horst, Nur keine Sentimentalitäten!: Wie Dring Verlag)



Ein Italowestern ganz eigener Art


Der bei uns nur wenig bekannte Comic-Autor Benito Jacovitti hätte wahrlich mehr Beachtung verdient, denn sein Kamillentee trinkender Cowboy Coccobill ist ein Erlebnis. Auf den Seiten wimmelt es von absurden Details: da steht (!) schon mal eine Salami herum, jemand trägt eine Sprechblase und auf einem Schild, das in den Boden gerammt ist, steht "Hier steht nichts geschrieben". So wild ist dieser Westen vielleicht nicht, aber herrlich absurd. Übrigens begann Jacovitti die Serie bereits in den 50ern; in Deutschland erschienen nur wenige Hefte (ich kenne drei: Nr. 2, 3 und 4).



What are comics anyway oder

Was wollen uns diese bunten Bildchen eigentlich sagen?

Comics nennen wir sie, weil sie ja auf Englisch auch so heißen. In Frankreich nennt man sie BD, bande dessinées, und mit dem Wort verbindet sich eine ganze Kultur, weit entfernt von dem Schmuddelimage, das sie bei uns ja immer noch haben. Comics ist als Name eigentlich ein ziemlicher Mißgriff, denn 'komisch' sind sie beileibe nicht immer. (1). Wenn der deutsche Leser sie ausnahmsweise ernst nimmt, nennt er sie auch anders: 'Graphic Novel'. (2) Doch im Grunde ihres Herzens sind sie - Comics.
Wo kommen sie eigentlich her? Sind sie eines Tages vom Himmel gefallen, oder Produkt einer perfinden Industrie, die vor allem Kindern das Geld aus der Tasche ziehen will? (Antwort: ja, genau!)
Und: woran erkennt man eigentlich einen Comic, im Unterschied zu Kinderbuch einerseits und etwa einer politischen Karikatur andererseits?

Eine erste Vermutung dürfte sein, dass eine enge Verbindung von Wort und Bild ein grundsätzliches Merkmal ist; wenn dem so ist, wären erste Vorläufer vielleicht in Ägypten zu suchen:

Auch im Mittelalter gab es Bildcollagen, die einen Text integrierten, etwa (nein, besonders) der Wandteppich von Bayeux, der die Eroberung Englands durch die Normannen mit Mitteln beschrieb, die schon recht comichaft wirkten:


Im Spätmittelalter wurden Spruchbänder beliebt, denn mit ihnen konnte man den Personen im Bild Worte in den Mund legen, das Bild also geradezu "vertonen"; etwa so:



Im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Aufklärung, arbeitete man gerne politisch, indem man Zustände überspitzte und dabei eine Art frühe Form der Sprechblase benutzte:

Im 19. Jahrhundert wurden die klassischen Bildgeschichten populär. Ein Name wie Wilhelm Busch ist immer noch allgemein bekannt, und seine Geschichten sind zweifellos dynamisch.

Sind die angeführten Beispiele also so etwas wie frühe Comics? Das lässt sich verneinen, und zwar eindeutig, denn es fehlen ihnen ein paar wichtige Elemente. Aus Platzgründen seine hier nur die vier wichtigsten angeführt:

Eine Comicseite besteht grundsätzlich aus einer Abfolge von "Momentaufnahmen", Einzelbildern, die die Story nacheinander entwickeln. Sie können auf fast beliebige Weise eine Seite aufteilen; meist sind sie jedoch relativ unauffällig. Man nennt sie in der Fachsprache 'Panels'. Hier ein Beispiel:

Bewegung wird in Comics gern mit sogenannten "Speed Lines" dargestellt: das sind die Striche nach (oder, wie hier, vor) dem bewegten Objekt. Unser Beispiel zeigt den berühmten "Silver Surfer"


Natürlich fehlen unseren Beispiel auch die klassischen Sprech (bzw. Denk-)Blasen; bei dem Beispiel links handelt es sich um eine Sprechblase, rechts wird Denken angedeutet.




Ein wichtiges Element sind auch die sogenannten Onomatopöien. Etwas ganz Eigenes, quasi der Soundtrack des Comics:
...und Schluss. Jedenfalls für heute.



Fußnoten:
(1) Interessanterweise nennt man sie im Englischen oft nicht 'comics', wenn sie denn witzig sind, sondern 'funnies'. Lustig, nicht?

(2) Vor allem im amerikanischen Englisch unterscheidet man gewöhnlich zwischen Comic Strips ('normale' Zeitungscomics; drei bis vielleicht 5 Panels lang) und Comic Books (ganze Hefte oder Alben), die in sich abgeschlossen sind, aber manchmal auch in Serien daherkommen, besonders die trivialeren Comics. Die beiden Formen des Comics unterscheiden sich erheblich, vor allem im Spannungsbogen, den sie aufbauen.

Und? Was meinen Sie?____________________________

Das letzte Bild ist Kunst (allgemeine Ansicht), und zwar Pop Art von Roy Lichtenstein 1923 – 1997). Fast ein Comic...

And now for something different...



Er arbeitete fast vierzig Jahre in einem Architekturbüro in San Francisco und galt als begabter Zeichner. Wahrscheinlich aber ahnte kaum ein Kollege, was für ein eigenartiges Genie Achilles Rizzoli war.

Er wurde 1896 als jüngstes von fünf Kindern geboren und verbrachte fast sein ganzes Leben in San Francisco. Als sein Vater 1915 Selbstmord beging, lebte er fortan mit seiner Mutter zusammmen, die er verehrte. Er heiratete nie.

Ab 1935 schuf er eine Serie von Zeichnungen (farbige Tinte auf Makulaturblättern), von denen die meisten Freunde und Verwandte als Gebäude darstellten (!), symbolische Portraits in neobarocker Üppigkeit. Fünf Geburtstagsgrüße für seine Mutter zeigen sie als prächtige Kathedralen.
Mitte der vierziger Jahre endete diese kreative Phase – die Bilder selbst kamen erst nach seinem Tod 1982 an die Öffentlichkeit – und neue, teils überambitionierte Projekte erfüllten ihn. So plante er eine Phantasie-Ausstellung, eine Zusammenschau von Dichtkunst, Prosa, Zeichnungen und Feierlichkeiten, die nie verwirklicht wurde.

Ab 1977 durch einen Schlaganfall am Arbeiten gehindert, starb er fünf Jahre später.

Es gibt einen Film über ihn, Yield to Total Elation: The Life and Art of Achilles Rizzoli, von dem ein Ausschnitt (?) auf Youtube zu sehen ist:
https://www.youtube.com/watch?v=nVtL1NXyhCc&list=PLA9578157C0E46476 .
Wie ein Kommentator schreibt: a work of incredible beauty.
Außerdem existiert ein Buch, Hernandez/ Beardsley/ Cardenal, A.G.Rizzoli: Architect of Magnificent Visions, das schon seit geraumer Zeit auf meiner wish list steht...

P.S. Wie unschwer zu erkennen ist, handelt es sich hier nicht um einen Comic. Die Verbindung von Wort – hier vielleicht eher Idee, Begriff – und zeichnerischer Umsetzung ist jedoch so originell, dass es ohnedies keinen rechten Namen dafür gibt.

Katzen im Comic 

aber:
und natürlich:

Die Acme Novelty Library

von Chris Ware

Die Bände der ACME Novelty Library (ACME heißt "Spitze") sind in geradezu jeder Hinsicht originell. Das fängt bei den liebevoll-nostalgisch gezeichneten Covern an und bei der Tatsache, dass die Bände ganz unterschiedlich im Format sind: mal ein kleines Heftchen, dann wieder ein Riesen-Überformat. Ein Titel als Beispiel:


Superman lebt, aber er ist alt geworden. Das ist eine Anspielung auf einen Comic-Klassiker, wie sie Chris Ware sie liebt, der alleinige Autor der ganzen Vielfalt. Auch Krazy Kat, Little Nemo in Slumberland und ähnliche Prominente sind ihm willkommen.
Sein eigenes Werk steht jedoch der franko-belgischen Tradition eines Hergé näher als der amerikanischen: klare Linienführung ("ligne claire") und übersichtliches Layout, wenn auch bei ihm schon fast überfrachtet durch die winzigen Dimensionen seiner Panels. HIer eine Doppelseite seiner berühmten Serie Jimmy Corrigan, the Smartest Kid on Earth - ohne Worte, auch das ist bei Ware nichts Ungewöhnliches.

Leider scheint die Serie inzwischen eingestellt zu sein. Wer ein Exemplar findet, wie auch immer, kann sich glücklich schätzen. Dazu noch eine letzte Probe der unglaublichen Stilvielfalt Wares. 

Urbicande, oder Les Cités obscures
von François Schuiten und Benoît Peeters


Eine Art Parallelwelt zu unserer, in der sich Elemente des Jugendstils, eine Technik wie von Jules Verne erträumt und Science-Fiction à la Metropolis zu einem ästhetisch gelungenen Ganzen verbinden.


Zentrales Thema ist dabei die Vereinsamung des Einzelnen durch eine zunehmend anonyme Urbanisierung (der Zeichner François Schuiten entstammt einer Familie von Architekten!). Dabei sind die Teilaspekte der Welt von 'Urbicande', d.h. die einzelnen Folgen der Serie Les Cités Obscures, unzusammenhängend und nur thematisch verbunden.

Bisher umfasst die Serie ein Dutzend Bände; weitere sind angekündigt. Meistens sind die Bücher das Produkt einer Zusammenarbeit mit dem Szenaristen Benoît Peeters.

Ein Besuch der eigenwilligen Website des Teams, www.altaplana.be , lohnt sich! 








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