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Sonntag, 14. Juni 2015

Krieg

Aus Goyas Bilderzyklus Desastres de la guerra (1810-1820

Streit, von Althochdeutsch strīt: bewaffneter Wettstreit. Überraschenderweise ist das Wort, das dabei bevorzugt genommen wird, aus dem Germanischen: Krieg ist Wirrnis, werra, war.
Ein regelrechter Exportschlager! Wie übrigens auch Helm (helmet, yelmo, elmo etc.) oder Blitzkrieg (!! - Im Englischen hat man davon sogar ein Verb abgeleitet, to blitz). Oder Panzer. Hier ist es das Ding an sich (z.B. als 'Leopard 2' von Krauss-Maffei), nicht das Wort: Dieses Wort kommt z.B. im Französischen, Spanischen oder Italienischen aus dem Englischen (tank, tanque, vom englischen tank)i.

Aber: Das englische war entstand aus Altenglisch wyrre, AFrz. were, vom (germanischen!) werre, ist verwandt also mit verwirren, schon im Indogermanischen *-wers: "durcheinanderbringen, verwirren". Aber nicht nur das englische war kommt aus dem Germanischen, sondern auch die spanische, italienische und prtugiesche Entsprechung zu "Krieg": guerra. Und natürlich la guerre im Französischen.

Im Isländischen sagt man hernaður, öfter auch stríð, "Streit", ófriður, "Unfrieden". ii
Schwed., Norwegisch und Dänisch heißt der Krieg wie bei uns: krig, aber im Niederländischen oorlog, was wiederum auf ein altgermanisches Wort für Schicksal, uzliuga, zurückgeht. Das -log (bzw. liuga) hängt zusammen mit "liegen" und "legen"; oor- (uz-) bedeutet etwa "von, weg von". Eine Art Beschreibung des Unfriedens als Schicksal, das einem gelegt (=auferlegt) ist. Auch im Altnordischen existierte ein ähnliches Wort, ørlygi, das aber auf der Walstatt geblieben scheint. (Falls Sie sich jetzt fragen, was das nun schon wieder heißen soll: bitte ein klein wenig Geduld!) Synonym sind strijd und krijg. Streit ist hier übrigens weniger der "Zank", als der "Wettstreit der Waffen", und die Etymologie von Kri(e)g wird erst noch zu (er)klären sein.

Zunächst erst einmal Walstatt. Denken Sie an Walhalla, die Halle, in der Odin, a.k.a. Wotan oder Woden, die in der Schlacht gefallenen Krieger begrüßt. Keine zweiundsiebzig (oder waren das siebenundzwanzig?) Jungfrauen also, aber den Abtransport der Gefallenen ebenso wie deren Versorgung mit Met nach ihrem Tod oblag den Walküren, valkyrjar. Die erste Silbe des Namen, Wal-, oder valr, bedeutet den Ort der Schlacht, eben die Walstatt. Ursprünglich ein Wort von vielen (z.B. wîg, AN vega, besonders aber Kenningariii wie [übersetzt etwa:] "Schwertersturm", "Versammlung der Waffen" oder "Fütterung der Raben") die vor allem in der altnordischen Dichtkunst den Krieg beschreiben; zitiert sei hier einmal die sogenannte Ältere Edda:

hart er í heimi, hórdómr mikill,
skeggöld, skálmöld, skildir ro klofnir,
vindöld, vargöld, áðr veröld steypisk,
mun engi matr öðrum þyrma..

..Unerhörtes ereignet sich, großer Ehbruch.
Beilzeit, Schwertzeit, wo Schilde krachen,
Windzeit, Wolfszeit eh die Welt zerstürzt... (Völuspá; Übersetzung Simrock)iv

Doch warum heißt der Krieg so wie er heißt? Angeblich ein urgermanisches Wort, *krē₂gaz, aber das hilft nicht viel weiter. Esperanto übrigens auch nicht: da heißt der Krieg milito, etwa "hat was mit Militär zu tun," oder er heißt konflikto.

Was ist überhaupt ein "Krieg"?
Eine dreifache Unterscheidung scheint sinnvoll: Er ist eine Metapher, ein bewaffneter Konflikt (konflikto), und eine existenzielle Erfahrung, ein Zustand: skeggöld, Beilzeit.

Wenn jeder Ehekrach gleich als "Rosenkrieg" gilt und Nachbarn sich gerichtlich belangen, weil der eine partout seinen Rasen mähen will, wenn der andere seinen Mittagsschlaf hält, ist "Krieg" eine auch noch ziemlich dämliche Metapher. Noch dämlicher, wenn -wie Heraklit meint- der Krieg der Vater aller Dinge sein soll.
Ein "bewaffneter Konflikt" ist der Krieg, wenn Völker und Volksgruppen übereinander herfallen und dabei immer absurdere Mengen an Kriegsgerät und Waffen zum Einsatz bringen. Nebenbei: Es sind ja nie die Völker oder Volksgruppen, die einander von sich aus mit Krieg überziehen – nur wenn sie sich aufhetzen lassen (dazu dient allzuoft das unerbittliche Vorurteil, das sich den Mantel der Religion umhängt), nur dann fallen mitunter sogar Nachbarn übereinander her.
"Modern Warfare" im Computerspiel

Eine erschreckende Entwicklung ist dabei auch der Einsatz von Waffen"systemen", bei denen sich die kriegerische Handlung am Bildschirm des Soldaten abspielt (wo sie nicht mehr von einem computer-basierten war game zu unterscheiden ist), der vielleicht einen halben Globus weit weg in seiner sicheren Einsatzzentrale sitzt. Im Vietnamkrieg haben sich die amerikanischen Soldaten noch zugekifft, weil sie die Wirklichkeit ihres Einsatzes nicht mehr aushielten; in Afghanistan, im Irak oder heute in der Ukraine verschwimmen offenbar alle Grenzen zwischen gut und falsch, wir und die da drüben, Feind oder enemy combatant – комбатант ? чёрт ? wie auch immer das auf Russisch heißt. Wenn das die "Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" (Clausewitz) ist – wie hirnrissig muss da die Politik sein?




„Battle of Lutzen“ von Carl Wahlbom - Swedish wikipedia. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons
Für die meisten Menschen ist der Krieg nicht mehr das, was er in vergangenen Jahrhunderten oft war, wenn eine blau uniformierte Armee (etwa von Preußen) auf irgendeinem Acker in Schlesien auf eine andersfarbige Armee (von, sagen wir einmal, Österreichern) traf, wo man so lange auf einander einschoss, bis einer aufgab; wo man in den Städten von fern Kanonendonner hörte, aber außer der Angst davor, dass das Kriegsgeschehen vielleicht näherkommen könnte, nicht wirklich betroffen war. .. Doch schon dieses Bild stimmt nicht; es wurde in unzähligen Historienfilmen gezeichnet und zeugt von einem Geschichtsverständnis, das Schlachten, Jahreszahlen und dynastische Erbfolgen aufzählt und die andere, weit grausamere Seite des Kriegs unterschlägt, wo einquartiert, requiriert und fouragiert wurde, den Bauern die Vorräte gestohlen, Haus und Hof niedergebrannt und Frauen und Kinder gequält und vergewaltigt wurden. Das waren die Desastres de la guerra, wie Goya sie zeichnete.


i  Die Sache ist noch komplizierter, denn bis in die Dreißiger hieß er schon auch bei uns Tank, dann Panzer, und jetzt einigermaßen offiziell PzKpfw (will sagen, Panzerkampfwagen)
ii Leider ist mir die Etymologie von hernaður nicht bekannt.
iiiKenningar sind feststhende poetische Metaphern in der altnordischen Dichtung; ähnlich wie heute im Deutschen "fahrbarer Untersatz" für Auto.
ivZum besseren Verständnis, v.a. des Ehbruchs, hier eine englische Version
Hard is it on earth, | with mighty whoredom;
Axe-time, sword-time, | shields are sundered,
Wind-time, wolf-time, | ere the world falls;
Nor ever shall men | each other spare.