Mal was über Orange.

Orange?

Mittwoch, 1. Mai 2013

Vielerlei Sprache

Zum Beispiel Norwegisch: das ist eigentlich keine Sprache, sondern zwei. Die eine, Bokmål, ist eigentlich eine Form von Dänisch (bzw. städtisches Oslo-Norwegisch). Diese Form wird von den meisten der ca. 5 Millionen Norweger benutzt. Daneben gibt es aber auch Nynorsk, Neu-Nordisch, das früher einmal Landsmål hieß, eine romantisierend-rekonstruierte Form des "eigentlichen" Norwegisch, der Sprache der (west-norwegischen) Landbevölkerung. Beide sind geschriebene Formen der Sprache; gesprochen zerfällt Norwegisch in viele Dialekte, was angesichts der Abgeschiedenheit vieler Fjorde auch kaum wundert.
Beispiel: "Ich komme aus Norwegen"

Bokmål: Jeg kommer fra Norge

Nynorsk: Eg kjem frå Noreg


Oder Shqip, Albanisch: Ähnlich wenige Sprecher (halb so viele wie Bayern Einwohner hat!), aber eigentlich auch zwei Sprachen. Im Norden (und im Kosovo) Gegisch (Gegërisht), im Süden Toskisch (Toskërisht). In jeder Hinsicht, sei es in Wortschatz, Aussprache oder Grammatik zwei recht unterschiedliche Idiome.
Beispiel: "was?" Toskisch: çfarë? Gegisch: qysh?

Oder Serbokroatisch, Srpskohrvatski: das war mal eine Sprache (eigentlich hat das nie gestimmt!), jetzt sind es zwei (oder mehr). Solange es Jugoslawien und Jugoslawen gab - dem Namen nach alles "Südslawen" - war dies die offizielle Amtssprache. Natürlich gab es auch damals schon gravierende Unterschiede in Wortschatz wie Aussprache, aber das nannte man damals Dialekte. Inzwischen ist Jugoslawien zerfallen, die Harmonie der südslawischen Brudervölker dahin, und Serbisch und Kroatisch gelten als verschiedene Sprachen. Ob daneben das Bosnische zum Beispiel eine eigene Sprache ist, sollen die Bosnier sagen. (Wenn man die Faustregel anwendet, alles was mit kyrillischen Buchstaben geschrieben wird, sei Serbisch, dann steht Bosnisch wohl dem Kroatischen näher).
Beispiel: "Guten Tag!" Kroatisch: Dobar dan! Serbisch: Добар дан!

Häufig ist das, was als Sprache gilt, eigentlich nur eine (für Außenstehende meist undurchsichtige) Gemengelage von Dialekten. So etwa das Baskische: es zerfällt in die Dialekte von Bizkaia, Gipuzkoa, Araba und Nafarroa in Spanien und von Lapurdi, Nafarroa Beherea und Zuberoa in Frankreich; eigentlich besteht Baskisch aus noch viel mehr Dialekten. Dies sind nur die Hauptgruppen. Recht betrachtet, spricht man in jedem Tal irgendwie anders. Und das bei vielleicht 700 000 Sprechern!
Beispiel: elf (11) Guipuzkoanisch: amaika; Bizkainisch: ameka;
Lapurisch: hamaka; Zuberoa: hameka
Beispiel: "Ihr habt es" Bizkainisch: dozue; Guipuzkoanisch: dezute;
Ronkalesisch: tzei; Zuberoa: düzüe
"Baskisch" heißt ezkuera, euskala, uskera, eskara, eskoara, je nachdem...

Oder Romantsch, Rätoromanisch. Es wird vor allem in den - auch hier wieder: Tälern - des Schweizer Kantons Graubünden gesprochen, von geschätzt 60 000 Menschen. Und auch hier gilt: in jedem Tal anders. Man unterscheidet Surselvisch, Sutselvisch, Surmeirisch, Puter, Vallader und Jauer. Die letzten beiden heißen auch Rumantsch Grischun und werden gern als "chara lingua da la mamma, tü sonor rumantsch ladin" besungen. Und das sind erst die "Schriftsprachen".
Damit verwandt, aber nicht identisch ist übrigens Ladinisch. Gesprochen (in ein paar Südtiroler Tälern) von einer sprachlichen Minderheit wie es kaum noch kleiner geht (30 000), zerfällt es doch auch in fünf Dialekte, nämlich Maréo/Badiot, Gherdëina, Fascian, Anpezan und Fodom.
Beispiel: "Wie schön du bist!" Surs.:Tgei bi che ti eis! Sut.: Tge beal ca tei es
Surm.:Tge bel tgi te ist! Putér: Che bel cha tü est!
Vallader: Che bel cha tü est! Jauer: Tge bel che ti es!

Um halbwegs einen Bogen zu schlagen zum Anfang des Artikels, einmal eine Sprache aus einer Landschaft ganz ohne Täler (aber auch ohne Fjorde): Friesisch. Gesprochen von immerhin (fast) einer halben Million Sprechern in den Niederlanden und in Deutschland. In der niederländischen Provinz Fryslân, die im auch die westfriesischen Inseln einschließt, nicht mehr auf den ostfriesischen (in Niedersachsen), wohl aber auf den nordfriesischen Inseln (in Schleswig-Holstein). In Ostfriesland spricht man heute ein Platt mit gelegentlichen friesischen Einsprengseln, ansonsten ist die Sprache hier schon lange tot (mit Ausnahme der Gemeinde Saterland in Kreis Cloppenburg: dort sprechen noch ein paar Handvoll Leute das sog. Saterfriesisch). Auf den nordfriesischen Inseln hingegen lebt die Sprache noch, und zwar in zehn verschiedenen Dialekten mit zehntausend Sprechern.
"Vater unser im Himmel" auf Mooringer Friesisch (aus der Gegend im Niebüll): Üüsen Tatje önj e hamel
und auf Föhrer Inselfriesisch: Üüsens Aatj ün hemel

Es fällt auf, dass es oft gerade die sehr kleinen Sprachen mit nur wenigen Sprechern sind, die - scheinbar 'unnötigerweise' - auch noch in viele Dialekte zersplittert sind. Und doch: eigentlich kein Wunder. Zum einen fehlt solchen Sprachen meist ein gemeinsamer Standard, wie ihn die Medien setzen. Vielfach sind sie Teil der mündlichen Kultur und praktisch ohne verbindliche Schriftform. Da sie als Minderheitensprachen in einem anderssprachigen Umfeld bestenfalls toleriert werden, scheint ihren Sprechern sozialer Aufstieg nur in der dominanten Sprache des Landes möglich, bestenfalls trotz, aber nicht wegen ihrer eigenen Sprache. Ein Baske, der Karriere macht, wird das wahrscheinlich im Spanischen tun und seine baskische Identität ist dabei nachrangig.

Oftmals ist die Minderheitssprache das Einzige, was der jeweiligen Kultur als typisch eignet. Es gilt mithin, das Alte zu bewahren; die Sprache bleibt konservativ und entwickelt sich kaum noch spontan (1); meist sind es auch nur Angehörige der älteren und ältesten Gneration, die sie gut sprechen. So kommt es oft zu einem romantisierenden Rekurs auf vermeintlich bessere Zeiten.

Die "Fryske frijheidt" findet der Friese nur noch in seiner Sprache.


Fußnote

(1)
bezeichnenderweise werden Neologismen, Bezeichnungen etwa für neue Dinge, aus der dominanten Sprache übernommen


Trinkgefäße

Die Glockenbecherkultur – ein steinzeitliches (mehrere Jahrhunderte um die Mitte des 3.
vorchristl. Jahrtausends) Volk, von dem wir fast nichts wissen, als dass es erste metallverarbeitende Techniken beherrschte und dass es mithin an der schwelle zur Bronzezeit stand. Ach ja, und dieses Volk hinterließ Keramikbecher in glockenähnlich-eleganter Form, so dass man sie eben nach diesen auch benennt. (1)
Wir fassen zusammen: eine Kultur, die nach einem Trinkgefäß benannt ist. Wie man vielleicht die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts irgendwann einmal als Coladosen-Kultur bezeichnen wird. Obwohl, -kultur...?
Dieses Volk (engl. beaker people; frz. (weniger griffig) Culture campaniforme) stellte die für sie typischen Keramik-Trinkgefäße in Becherform her. Dies ist vielleicht der Urtyp des Flüssigkeitsbehälters und neben der hohlen Hand und vielleicht der einen oder anderen Schalenfrucht (Kürbisse oder Kokosnüsse: in unseren Breiten wächst da nix Geeignetes, da muss man seine beakers schon selbst herstellen). Wahrscheinlich so ziemlich der älteste. Was aber ist eigentlich ein Becher?

Wenn man das anschaut, was eine Internet-Suchmaschine an Bildern zum Thema anschleppt, kommt man auf ein paar vermutlich grundlegende Merkmale, wie etwa „kein Stiel” oder „meist schlicht in der Form”, aber wie steht es zum Beispiel mit dem Material? (Becher sind nicht immer irden: denken Sie z.B. an Papp-Becher. Aber: gibt es Becher z.B. aus Gold?) Wie steht es mit Henkeln? Ist ein Becher mit Henkeln überhaupt einer? Was soll eine „Bechertasse” sein – ein Becher oder eine Tasse? Sie hat jedenfalls einen Henkel, wie jede anständige Tasse. (Im Englischen sagt man mug, was ungeklärter Herkunft ist und nicht mit dem Slangwort für Gesicht zusammenhängen dürfte. Jedenfalls sagt man nicht beaker).


edel: (Trink)gefäße der alten Griechen. Sie kommen in diesem Artikel nicht weiter vor.
Überhaupt Tassen: Meist sind sie aus Keramik oder Porzellan (davon das feinste heißt im Englischen bone china (interessanterweise heißt „china” ja „porzellan”. Aber warum „knochen”?) Wenn Wikipedia recht hat, kommt da Knochenasche mit hinein. Na denn man Prost!). Sie reizen oft zum Kleinen-Finger-Abspreizen, während man den Tee zum Munde führt. Für bodenständigeres gibt es die oben erwähnten mugs. Tassen sind cups, und das hängt mit unserem „kopp” zusammen (im Sinne von Schädel). Man will’s nicht glauben, aber die Etymologen sind sich so ziemlich einig: Weil die Wikinger gern mal ihren Met aus den Schädeln erschlagener Feinde tranken, heißt das zierliche Tee-Tässchen „cup”!? Vielleicht stimmt das mit den erschlagenen Feinden nicht so ganz, aber das mit dem Kopp schon.


möge der Met munden

A propos Köpfe der erschlagenen Feinde, bzw. alte Germanen. Diese trugen nachweislich niemals Helme mit Hörnern (wie auch die Flederwische am Helm von Asterix frei erfunden sind). Die Hörner sind eine Zutat des 19. Jahrhunderts und haben mehr mit Richard Wagner zu tun als mit tatsächlichen Germanen. Hörner aber benutzten unse Vorfahren schon: man konnte Musik damit machen – wie auch mit dem Gemshorn, das noch „musikalischer” ist – aber vor allem trank man daraus. Schäumenden Met, oder was sonst zur Hand war, um sich zu berauschen. Also keinen Wein.

Denn den Weinanbau führten die Römer ein. Das Getränk kannten sie aus dem sonnigen Italien, und ohne Wein war das raue Germanien nur schwer zu ertragen, auch wenn man der privilegierte Besatzer war. So musste man eben den Wein importieren oder versuchen, ihn auch in der Fremde anzubauen. Was die Römer zu dem Weinbau noch einführten, war das passende Gefäß. Und das war, wie auch immer seine Form, aus Glas. Inzwischen trinken wir nicht mehr aus dem Trinkhorn, und statt Met trinken auch Germanen inzwischen ganz ordentliche Mengen Wein, auch sehr gute Tropfen aus heimischen Gefilden (denn auch die ganze Winzerei wird hier praktiziert). Und überhaupt sind wir, welterfahren und vielgereist, inzwischen auch ein Volk von Weinexperten, wissen den schweren, süßen Mavrodafne aus Griechenland vom leichten Beaujolais primeur zu unterscheiden, und selbstverständlich den Riesling vom Pinot Grigio.


feine Unterschiede zählen

Und, was wichtig ist, wir wissen, dass man Wein dekantiert (dass er atmen kann), und welchen Wein man zu welcher Speise genießt, überhaupt: welchen Wein vor, und welchen nach dem Essen. All das wissen wir, und selbstverständlich wissen wir auch, welcher Wein in was für ein Glas gehört. Es wäre ja geradezu eine Sünde, einen Dessertwein (das ist der Wein nach dem Essen) aus einem Sherryglas (woraus man ja seinen Aperitif trinkt - vor dem Essen) zu trinken! Und aus dem Römer trinken wir eigentlich kaum noch: der ist doch eher veraltet. Am edel gedeckten Tisch arbeiten wir uns so durch die Gläser (wie man das ja auch beim Besteck tut).

Nur die Biertrinker sind ein wenig problematisch, denn sie haben die Gläser nicht (noch nicht?) konsequent systematisiert. Ansätze gibt es wohl, etwa das Weißbierglas, die Pilstulpe oder die „Stange” für’s Kölsch; aber ansonsten scheint es dem Biertrinker egal, aus welchem Gefäß er trinkt. Manche trinken ja sogar aus dem Krug!! Ja, aus der Flasche!!!


doch irgendwie alle ähnlich...


Weil wir gerade bei der Flasche sind: Ein Baby, das nicht mehr gestillt wird, trinkt seine Milch aus der Flasche, weil’s praktisch ist. Als Studenten haben wir so ziemlich alles aus dem Senfglas getrunken (2) und täten das in der Not wohl immer noch. Und neben Glas und Porzellan gibt es noch andere Materialien für das Trinkgefäß; Horn und Keramik wurden bereits erwähnt, aber es gab/gibt auch Gefäße aus Metall (sehr oft Zinn), Tassen aus Holz (in Nordskandinavien: siehe Bild in Fußnote 3) und in neuerer Zeit Becher aus gewachster Pappe (mit Deckel, für den Kaffee „to go”) und aus buntem Plastik. Und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis jemand ein Trinkgefäß aus „intelligentem” Material erfindet (iMug?),

Wir können es abwarten.

Fußnote:
  1. Der englischsprachige Wikipedia-Artikel hat übrigens eine völlig andere Karte des vermuteten Verbreitungsgebiets als der deutschsprachige; letzterer kennt nur Spuren, wo der erstere die Becherleute fast überall in Europa ansiedelt...
  2. Ein schönes Beispiel für den Wiederverwertungs-Gedanken: Wenn kein Senf mehr im Glas ist, wird es gespült und kann dann als Trinkglas verwendet werden. Selbstverständlich wurde der Senf-im-Glas deswegen gekauft, und vielleicht wäre ein Senf im Plastiktöpfchen billiger gewesen, so dass man sich ein Glas hätte dazukaufen können. Aber es war halt praktisch.
  3. Und so sieht eine traditionelle kuksa aus Finnland aus: