Mal was über Orange.

Orange?

Sonntag, 18. Januar 2015

statt Zuckerbrot


Nicht nur seit den Tagen von Indiana Jones (der Mann war Archäologe!) und Konsorten ist die Peitsche ein Stück – ja, was eigentlich?? Folklore? Brauchtum? eine Waffe? ein Spielzeug? ein Folterinstrument? Antwort: JA!

Bevor wir ins Detail gehen, müssen wir ein paar Dinge klären. Zunächst einmal: Was ist eigentlich eine Peitsche? Da es mir in meiner Kindheit noch beschieden war, bei strafbaren Vergehen in der Schule gelegentlich die Rute des Lehrers auf die Handinnenflächen appliziert zu bekommen (was allerdings nicht der Grund dafür war, dass ich selber Lehrer wurde!), kenne ich dieses Instrument der rustikalen Pädagogik recht gut. Das hat zwar ordentlich"gepfetzt", wie wir das nannten, aber eine Peitsche war das nicht. Laut Duden ist nämlich eine Peitsche ein "aus einem längeren biegsamen Stock und einer an dessen einem Ende befestigten Schnur bestehender Gegenstand," und die Rute des Herrn S. war aus einem Stück. Der Duden (online) verrät uns zwar nur indirekt, wie die beiden Bestandteile einer Peitsche genannt werden; die heißen nämlich tatsächlich "Stiel" und "Schnur". Der deutschsprachigeWikipedia-Artkel spricht zwar von "Stiel" , aber auch einem "Lederriemen" oder "Strick". Das mit dem "Riemen" mag angehen, aber "Strick" ist fragwürdig. Was denkt sich überhaupt ein Wiki-Autor, der eine Peitsche allen Ernstes als "Schlagwaffe oder ein Kommunikationsmittel" (!) bezeichnet? (im Originalton Wiki weiter: "Zu dem ebenfalls als Peitsche bezeichneten Musikinstrument siehe Peitsche (Musikinstrument)." OK. Das von Wikipedia als "freies Ablenkungs-Aerophon" beschriebene Musikinstrument gibt es wirklich; ich sage nur "Goaßlschnalzn". Doch davon später.

So eine Peitsche kennen wir vom Fiaker und jedem anderen Kutscher, der etwas auf sich hält. Und ein guter Kutscher tut dem Pferd auch nicht weh – das tun nur die Kutscher um Wilden Westen, wenn die Indianer hinter ihnen her sind – sondern er schnalzt mit der Peitsche. Das klingt nämlich stilecht und für das Pferdl offenbar motivierend.

A propos Schnalzen: Das ist nicht ganz einfach, und bei genauerer Betrachtung hat eine Peitsche (hier im Sinne von Musikinstrument) am Ende der Schnur ein weiteres Teil, die Treibschnur, auch Bast genannt. Damit wären wir beim Brauchtum, nämlich dem Goaßlschnalzn. das ist mitnichten eine kleine Geiß, denn die schnalzt ja nicht, sondern die Peitsche (Goaßl = Geißel), und es gibt Gegenden in den (Vor-)Alpen, wo man seit ewig-urigen, also vorfrommen Zeiten schnalzt. Siehe http://www.schnalzen.de/ . Das Schnalzen beherrschen aber, wie gesagt, auch viele Kutscher, und die schnalzen nicht mit der Goaßl, sondern knallen mit der Peitsche. Ob das aber Musik ist, sei dahingestellt. Immerhin schreibt Leopold Mozart (also der Herr Vater vom Wolferl) bei seiner "Bauernhochzeit" (Sinfonia in D-Dur) auch Peitschenknallen vor. Bei den Reichen knallen die Sektkorken; bei den Armen knallen höchstens die Peitschen. Nur so eine Theorie...

Zu den eher harmlosen Vergnügungen mit der Peitsche gehört auch ihre Verwendung als Spielzeug. Vor, sagen wir einmal: hundert Jahren etwa bekamen artige Kinder gar oft einen gedrechselten, hölzernen Kreisel, der mittels einer Peitsche – hier nur mit einem harmlosen Strick bestückt – mit einer gewissen Geschicktheit eine theoretisch endlose Zeit in Drehung gehalten werden konnte, bis schließlich der Hund darüber herfiel oder das Kind des Treibens müde wurde.

Gewissermaßen als Spielzeug, wenn auch in einem völlig anderen Kontext, taucht die Peitsche auch heute noch auf, im einschlägigen (no pun intended!) Fachhandel, auf eBay und überhaupt im Internet auf. Googelt (oder von mir aus "bingt") man "Peitsche", tauchen massenhaft Begriffe wie "Domina" oder "BDSM1" auf; und natürlich wußten wir alle, dass es in – wie man früher sagte – der Sado-Maso-Szene unter den Hilfsmitteln auch Peitschen gab und gibt, aber das Ausmaß überrascht dann doch. Man muss sich wohl auch sehr anstrengen, so etwas wie eine Peitsche schön zu finden. Die Peitsche hat offenbar tatsächlich längst Einzug gehalten in deutschen Schlafzimmern. Dabei geht es offenbar auch gar nicht um "schön" im ästhetischen Sinn, aber es scheint doch eine ganze Menge Menschen zu geben, die Schmerz – und was eine Peitsche sonst noch vermitteln mag – als lustvoll empfinden.

Und es war wohl auch ein gewisses Maß an Masochismus mit im Spiel, als die Selbstkasteiung zur Massenbewegung wurde. Im Christentum hat ja wegen Kreuzigung und dem Martyrium der Heiligen die bildliche, religiös überhöhte Darstellung von Folter, Leid und dem Ertragen von Schmerz einen ganz eigenen, schwer zu definierenden Wert. Selbstkasteiung und freiwillig ertragenes Leid sind den meisten Kulturen fremd2. Auf jeden Fall gedeihen auf solchem Nährboden Absurditäten wie die Geißlerbewegung (auch: Flagellanten, vom lat. flagellum, "Geißel"), bei der im 13./14.Jhd. Menschen in einer Massenhysterie durch die Straßen zogen und sich dabei für die eigenen Sünden wie auch die der Menschheit insgesamt selbst geißelten und ähnlich andere Verletzungen zufügten. Eine Art religiös motivierter, aber eben doch auch: Masochimus also. Normal ist eher die Angst vor der Geißel, daher Beinamen wie die "Geißel Gottes": Attila the Hun.
Geißler / Geißeltierchen / Geißel Gottes (Attila)
Geißel ist ein altes gemanisches Worz; Peitsche ist aus dem Slawischen entlehnt und nicht, we man vermuten könnte, lautmalerisch, hört man doch geradezu nach dem harten Plosivlaut 'p' die Schnur die Luft durchschneiden, um dann mit der zischenden Affrikata 'tsch' schmerzhaft aufzuschlagen. Übrigens könnte auch das englische 'whip' lautmalerisch aufgefassst werden: auf das windige 'wh' folgt ein hartes 'p' – aber lassen wir das. Irgendwie dürfte das Wort ursprünglich eine rasche Hin-und Herbewegung bezeichnet haben (und insofern letztlich mit unserer Wippe verwandt sein) aber so ganz genau weiß man das nicht. Darum klingt die lautmalerische Theorie auch einigermaßen plausibel. 

Kurioserweise hat whip im Englischen auch eine parlamentarische Bedeutung. Gewöhnlich wird es dann mit Einpeitscher übersetzt, bezeichnet es doch den Mann, der für Parteidisziplin, vor allem bei Abstimmungen, sorgt. Dabei stimmt sich der Chief Whip der Regierung mit dem der loyalen Opposition ihrer Majestät ab. Von der Funktion her hat er etwas vom parlamentarischen Geschäftsführer einer Fraktion im Bundestag.

Die Geißel hatte eine Funktion im Alten Ägypten, die wohl die strenge Seite der Macht symbolisierte. Man kennt das von den Sarkophagen verstorbener Pharaonen, deren Abbild als Halb- oder Vollrelief den Deckel seines steinernen Sargs zierte: mit der Doppelkrone Ober- und Unterägyptens sowie, über der Brust gekreuzt, einem Krummstab (der – wie man das auch vom Krummstab von christlichen Bischöfen kennt – den fürsorgenden Hirten darstellen sollte) sowie eben einer Peitsche mit mehreren Riemen.

In der Fachsprache der Archäologen heißt dieses eigenartige Szepter Flagellum.
So heißt bei den Biologen das Fortbewegungsmittel bestimmter Kleinstlebewesen, wie etwa dem danach benannten Geißeltierchen. Es ist dies ein schwanzähnlicher Fortsatz,der mit rudernden Bewegungen das "Tierlein" oder, um etwas Vertrauteres anzuführen, ein Spermatozoon vorantreibt, wenn es im Wasser herumzieht.

«la ligne coup de fouet» (etwa "Peitschenschlag") nannte der bedeutende belgische Architekt Victor Horta
Hotel Tassel, Brüssel, von Victor Horta
jene geschwungene Linie, die wie kein zweites Argument den Jugendstil auf einen Nenner bringt: zeitlose Schönheit und Eleganz in Vollendung. Man muss sich schon sehr anstrengen, wenn man so etwas nicht schön finden will.


Aber der eigentliche Sinn und Zweck von Geißel, Knute & Co. ist natürlich das Bestrafen, die Zufügung von Leid, sei das nun als pädagogische Maßnahme verbrämt, zur Wahrung von Disziplin oder als "gerechte" Strafe deklariert. Und natürlich ist der Mensch hier recht erfinderisch, und schon immer erfinderisch gewesen.

Man denke nur an die vielfältigen Formen des corporal punishment,
Belting · Birching · Caning · Spanking · Strapping · Switch ( in Schulen
Flat hand · Paddle · Slippering (Spanking with a pair of slippers): (daheim·)
flogging, whipping oder lashing (Auspeitschen) - die Bandbreite reicht von der "ausrutschenden" Hand bis zu massiven  Misshandlungen.

Und Grausamkeiten waren und sind in praktisch allen Kulturen regelrecht an der Tagesordnung; Auspeitschen war meist öffentlich. Dass dabei besondere Sorfalt waltete, belegen die gebrauchten Instrumente nur zu gut:
z. B. die Knute (engl. knout) , wohl von den Russen oder Wikingern: eine Peitsche mit Knoten; die russische nagaika (Russisch: нага́йка), der Kurbasch (aus Nilpferd- oder Nashornleder; ca 1m lang) der Osmanen (türk.: kırbaç), der afrikanische Sjambok.; der u.a. aus Karl Mays Büchern geläufige Ochsenziemer (oder -fiesel, laut Wörterbuch der deutschen Umgangssprache von M.Küpper war das "eigentlich das getrocknete und gelängte Geschlechtsglied des Ochsen" ) die Cat o' nine tails (Matrosenslang: neunschwänzige Katze (= Peitsche mit neun Riemen; daher auch "Not enough room to swing a cat:" ( vgl. frz. martinet, ) - und so weiter und so ewig fort.


unvollständiger Excur+ über besonder+ fiese Foltermethoden
Auspeitschen: bis die Haut in Fetzen hängt; die Schwielen entstellen i.d.R. ein Leben lang
Bastonade (Hiebe auf die bloßen Fußsohlen)
Gassenlaufen, auch Spießrutenlauf (vgl. das Lied "König von Preußen" im Anhang)
Stäupen: unehrenhaft; der Delinquent wird am Pranger geschlagen
Kielholen: der zu Strafende wird unter dem Kiel eines fahrenden Schiffes durchgezogen; kaum zu überleben!

Anhang: Ein Lied aus dem späten 18. Jhd; Verfasser unbekannt. Seit den 1970ern ein wieder oft gesungenes Lied über den grausamen Militärdienst, wie er nicht nur in der preußischen Armee gepflegt wurde:

1.

O König von Preußen,

du großer Potentat,

was sind wir deines Dienstes

so überdrüssig satt.

Was fangen wir nur an

in diesem Jammertal,

allwo ist nichts zu finden

als lauter Not und Qual.


2.

Und kommt das Frühjahr an,

da ist die große Hitz',

da muß man exerzieren,

daß ei'm der Buckel schwitzt.

Da muß man exerzieren

vom Morgen bis Mittag,

und das verfluchte Leben

das währt den ganzen Tag.


3.

Vom Exerzieren weg

geht's wieder auf die Wacht,

kein Teufel tut nicht fragen,

ob man gefressen hat.

Kein Branntwein in der Flaschen,

kein weißes Brot dabei;

ein schlechtes Tabakrauchen,

das ist er Zeitvertreib.


4.

Und kommt ein' frisch' Parad',

tut man ein falschen Schritt,

Dann hört man es schon rufen

der Kerl muß aus den Glied!

Patronentasche runter,

den Säbel abgelegt,

Und tapfer drauf geschmissen

bis er sich nicht mehr regt.



5.

Ihr Herren, nehmt's nicht Wunder,

wann einer desertiert,

wir werden wie die Hunde

mit Schlägen strapliziert;

und bringen sie uns wieder,

sie henken uns nicht auf,

das Kriegsrecht wird gesprochen:

Der Kerl muß Gassen lauf!


6.

Und wann wir Gassen laufen,

so spielet man uns auf

mit Waldhorn und Trompeten,

da geht es tapfer drauf;

da werden wir gehauen

von einem Musketier,

der eine hat's Bedauern,

der andre gönnt es mir.


7.

Und werden wir dann alt,

wo wenden wir uns hin?

Die Gesundheit ist verloren,

die Kräfte sind dahin!

Und endlich wird es heißen:

Ein Vogel und kein Nest!

Geh', Alter, nimm den Bettelsack,

bist auch Soldat gewest!


1Bondage, Discipline, Sadism, Masochism. Vgl. hierzu den verdächtig langen Wikpedia-Artikel, der in der deutschsprachigen Version zu den featured articles ("the best of Wikipedia") gehört.
2Jedoch nicht allen: Man denke z.B. an Fakire im Hinduismus!