Mal was über Orange.

Orange?

Mittwoch, 1. Mai 2013

Trinkgefäße

Die Glockenbecherkultur – ein steinzeitliches (mehrere Jahrhunderte um die Mitte des 3.
vorchristl. Jahrtausends) Volk, von dem wir fast nichts wissen, als dass es erste metallverarbeitende Techniken beherrschte und dass es mithin an der schwelle zur Bronzezeit stand. Ach ja, und dieses Volk hinterließ Keramikbecher in glockenähnlich-eleganter Form, so dass man sie eben nach diesen auch benennt. (1)
Wir fassen zusammen: eine Kultur, die nach einem Trinkgefäß benannt ist. Wie man vielleicht die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts irgendwann einmal als Coladosen-Kultur bezeichnen wird. Obwohl, -kultur...?
Dieses Volk (engl. beaker people; frz. (weniger griffig) Culture campaniforme) stellte die für sie typischen Keramik-Trinkgefäße in Becherform her. Dies ist vielleicht der Urtyp des Flüssigkeitsbehälters und neben der hohlen Hand und vielleicht der einen oder anderen Schalenfrucht (Kürbisse oder Kokosnüsse: in unseren Breiten wächst da nix Geeignetes, da muss man seine beakers schon selbst herstellen). Wahrscheinlich so ziemlich der älteste. Was aber ist eigentlich ein Becher?

Wenn man das anschaut, was eine Internet-Suchmaschine an Bildern zum Thema anschleppt, kommt man auf ein paar vermutlich grundlegende Merkmale, wie etwa „kein Stiel” oder „meist schlicht in der Form”, aber wie steht es zum Beispiel mit dem Material? (Becher sind nicht immer irden: denken Sie z.B. an Papp-Becher. Aber: gibt es Becher z.B. aus Gold?) Wie steht es mit Henkeln? Ist ein Becher mit Henkeln überhaupt einer? Was soll eine „Bechertasse” sein – ein Becher oder eine Tasse? Sie hat jedenfalls einen Henkel, wie jede anständige Tasse. (Im Englischen sagt man mug, was ungeklärter Herkunft ist und nicht mit dem Slangwort für Gesicht zusammenhängen dürfte. Jedenfalls sagt man nicht beaker).


edel: (Trink)gefäße der alten Griechen. Sie kommen in diesem Artikel nicht weiter vor.
Überhaupt Tassen: Meist sind sie aus Keramik oder Porzellan (davon das feinste heißt im Englischen bone china (interessanterweise heißt „china” ja „porzellan”. Aber warum „knochen”?) Wenn Wikipedia recht hat, kommt da Knochenasche mit hinein. Na denn man Prost!). Sie reizen oft zum Kleinen-Finger-Abspreizen, während man den Tee zum Munde führt. Für bodenständigeres gibt es die oben erwähnten mugs. Tassen sind cups, und das hängt mit unserem „kopp” zusammen (im Sinne von Schädel). Man will’s nicht glauben, aber die Etymologen sind sich so ziemlich einig: Weil die Wikinger gern mal ihren Met aus den Schädeln erschlagener Feinde tranken, heißt das zierliche Tee-Tässchen „cup”!? Vielleicht stimmt das mit den erschlagenen Feinden nicht so ganz, aber das mit dem Kopp schon.


möge der Met munden

A propos Köpfe der erschlagenen Feinde, bzw. alte Germanen. Diese trugen nachweislich niemals Helme mit Hörnern (wie auch die Flederwische am Helm von Asterix frei erfunden sind). Die Hörner sind eine Zutat des 19. Jahrhunderts und haben mehr mit Richard Wagner zu tun als mit tatsächlichen Germanen. Hörner aber benutzten unse Vorfahren schon: man konnte Musik damit machen – wie auch mit dem Gemshorn, das noch „musikalischer” ist – aber vor allem trank man daraus. Schäumenden Met, oder was sonst zur Hand war, um sich zu berauschen. Also keinen Wein.

Denn den Weinanbau führten die Römer ein. Das Getränk kannten sie aus dem sonnigen Italien, und ohne Wein war das raue Germanien nur schwer zu ertragen, auch wenn man der privilegierte Besatzer war. So musste man eben den Wein importieren oder versuchen, ihn auch in der Fremde anzubauen. Was die Römer zu dem Weinbau noch einführten, war das passende Gefäß. Und das war, wie auch immer seine Form, aus Glas. Inzwischen trinken wir nicht mehr aus dem Trinkhorn, und statt Met trinken auch Germanen inzwischen ganz ordentliche Mengen Wein, auch sehr gute Tropfen aus heimischen Gefilden (denn auch die ganze Winzerei wird hier praktiziert). Und überhaupt sind wir, welterfahren und vielgereist, inzwischen auch ein Volk von Weinexperten, wissen den schweren, süßen Mavrodafne aus Griechenland vom leichten Beaujolais primeur zu unterscheiden, und selbstverständlich den Riesling vom Pinot Grigio.


feine Unterschiede zählen

Und, was wichtig ist, wir wissen, dass man Wein dekantiert (dass er atmen kann), und welchen Wein man zu welcher Speise genießt, überhaupt: welchen Wein vor, und welchen nach dem Essen. All das wissen wir, und selbstverständlich wissen wir auch, welcher Wein in was für ein Glas gehört. Es wäre ja geradezu eine Sünde, einen Dessertwein (das ist der Wein nach dem Essen) aus einem Sherryglas (woraus man ja seinen Aperitif trinkt - vor dem Essen) zu trinken! Und aus dem Römer trinken wir eigentlich kaum noch: der ist doch eher veraltet. Am edel gedeckten Tisch arbeiten wir uns so durch die Gläser (wie man das ja auch beim Besteck tut).

Nur die Biertrinker sind ein wenig problematisch, denn sie haben die Gläser nicht (noch nicht?) konsequent systematisiert. Ansätze gibt es wohl, etwa das Weißbierglas, die Pilstulpe oder die „Stange” für’s Kölsch; aber ansonsten scheint es dem Biertrinker egal, aus welchem Gefäß er trinkt. Manche trinken ja sogar aus dem Krug!! Ja, aus der Flasche!!!


doch irgendwie alle ähnlich...


Weil wir gerade bei der Flasche sind: Ein Baby, das nicht mehr gestillt wird, trinkt seine Milch aus der Flasche, weil’s praktisch ist. Als Studenten haben wir so ziemlich alles aus dem Senfglas getrunken (2) und täten das in der Not wohl immer noch. Und neben Glas und Porzellan gibt es noch andere Materialien für das Trinkgefäß; Horn und Keramik wurden bereits erwähnt, aber es gab/gibt auch Gefäße aus Metall (sehr oft Zinn), Tassen aus Holz (in Nordskandinavien: siehe Bild in Fußnote 3) und in neuerer Zeit Becher aus gewachster Pappe (mit Deckel, für den Kaffee „to go”) und aus buntem Plastik. Und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis jemand ein Trinkgefäß aus „intelligentem” Material erfindet (iMug?),

Wir können es abwarten.

Fußnote:
  1. Der englischsprachige Wikipedia-Artikel hat übrigens eine völlig andere Karte des vermuteten Verbreitungsgebiets als der deutschsprachige; letzterer kennt nur Spuren, wo der erstere die Becherleute fast überall in Europa ansiedelt...
  2. Ein schönes Beispiel für den Wiederverwertungs-Gedanken: Wenn kein Senf mehr im Glas ist, wird es gespült und kann dann als Trinkglas verwendet werden. Selbstverständlich wurde der Senf-im-Glas deswegen gekauft, und vielleicht wäre ein Senf im Plastiktöpfchen billiger gewesen, so dass man sich ein Glas hätte dazukaufen können. Aber es war halt praktisch.
  3. Und so sieht eine traditionelle kuksa aus Finnland aus:

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