Eine gern zitierte –
und auch durchaus plausible - These besagt, dass Inuit (das Volk, das
früher mal als „Eskimos“ bezeichnet wurde), mehr Wörter für
Schnee kennen als irgendjemand sonst. Vielleicht noch die Jakuteni.
Jedenfalls ist es ja nachvollziehbar, dass es für Menschen im
Polargebiet lebensnotwendig sein kann, sich beim Schnee gut
auszukennen, um gefährliche Situationen zu vermeiden, oder das
wenige jagdbare Wild im Schneetreiben zu finden.
Nun hat vor kurzem
die Wissenschaft Spektakuläres herausgefunden! Dazu gleich mehr...
Der aus Minden
stammende Ethnologe Franz Boas (1858 - 1942), dessen hauptsächliches
Forschungsgebiet die Indianer und Inuit des amerikanischen hohen
Nordens waren, bemühte sich, Kulturen sozusagen von innen heraus zu
verstehen und zu würdigen. Dabei trat er vehement dem damals weit
verbreiteten Rassismus entgegen, der Völker wie zum Beispiel die
Inuit für primitiv und unterentwickelt hielt. Um seinen europäischen
und amerikanischen Zeitgenossen sozusagen zu beweisen, wie relativ
komplex (und daher hochentwickelt) ihr Leben und damit auch ihr
Wortschatz war, zeigte er den linguistischen Reichtum solcher Völker
auf.
Und es lässt sich
in der Tat feststellen, dass es im Inuktitut (der Sprache der Inuit)
zahlreiche Wörter für Schnee gibt, die zu belegen scheinen, wie
differenziert die Inuit ihre Umwelt wahrnehmen. Hier ein paar
Beispiele:
qanik:
fallender Schnee
qanittaq: vor
kurzem gefallener Schnee
aputi: Schnee
auf dem Boden
maujaq:
weicher Schnee auf dem Boden
masak: nasser
fallender Schnee
matsaaq:
halbgeschmolzener Schnee auf dem Boden
aqilluqaaq:
Treiben von weichem Schnee
sitilluqaq:
Treiben von hartem Schnee
kaviʁisiʁlaq:
durch Regen und Frost rauh gewordener Schnee
pukak:
kristallener Schnee auf dem Boden
miŋuliq:
feiner Mantel von pudrigem Schnee
natiʁuvaaq:
feiner von Wind getragener Schnee
piiʁtuʁiniq:
dünner Mantel von weichem Schnee auf einem Objekt
So, und jetzt
kommt's! Es gibt ein Volk in Europa, das diese Liste noch toppen
kann!! Kaum zu glauben, aber noch mehr Wörter für Schnee als die
Inuit haben – die Schotten. In den schottischen Highlands fällt
tatsächlich viel Schnee, auch wenn es im Rest des Landes eher selten
schneit. Trotzdem wollen Wissenschaftler an der University of Glasgow
(eine Forschergruppe um Susan Rennie) unlängst herausgefunden haben,
dass die Schotten sage und schreibe 421 Wörter für Schnee haben –
der absolute Weltrekord! Mit Ausdrücken wie flindrikin
(leichter Schneeschauer – aqilluqaaq?), feefle
(herumwirbelnder Schnee) oder blin-drift (Schneeverwehung)
machen sie in der Tat den Inuit zumindest Konkurrenz.
Oder war das mit den
zahllosen Inuit-Wörtern für Schnee so etwas wie Wunschdenken? Ein
Missverständnis in freundlicher Absicht? Ja und nein. Man sollte
sich hüten, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Jedes Sprache
funktioniert anders; je exotischer, desto mehr. Die Inuit haben eine
Sprache, die problemlos die kompliziertesten Zusammensetzungen aus
einer eher überschaubaren Menge an Wortstämmen, Ableitungen und
Zusammenziehungen bildet. Wenn solche „Wörter“ nun ins Deutsche
(oder Englische) übersetzt werden, ergeben sie oft Wortungetüme,
die aussehen wie ganze Sätze. Schwer wird es dann auch, zu zählen,
wie viele Wörter (und wie viele Bedeutungen) im Zusammenhang mit –
sagen wir mal – Schnee eine Sprache hat.
Machen wir doch
einmal ein Experiment: Schließen Sie die Augen, denken ein paar
Minuten an Schnee, und schreiben Sie dann ihre eigene Wortliste, Wie
viele Schnee-Wörter fallen Ihnen ein?
Schnee, Papp- ,
Pulverschnee, Firn, Schneewehen, Harsch, Schlossen, Graupel, Raureif,
Schneegestöber, Flockenwirbel, hereinschneien, Schneesturm,
Blizzard, schneebedeckt, schneefrei, weiße Pracht, das Weiß,
schneeblind, Schneeflocken, Schneekristalle, beschneit, verschneit,
schneeglatt, schneeweiß, einschneien, Sulz, Schneematsch,
Tiefschnee, Schneetreiben, Bruchharsch, Harsch, Kunstschnee,
Neuschnee, Gletscherschnee, unverspurter Schnee, festgefahrener
Schnee, Schneeball, Schneedecke...das sind immerhin schon 41...
iWas
die Jakuten treiben,wenn Frühsommer herrscht:
sonst.https://www.youtube.com/watch?v=uYxMB_VgXiI
ii Die
Liste stammt nicht von Boas, sondern aus einer moderneren Quelle:
Jan Henrik Holst: Einführung in die eskimo-aleutischen Sprachen.
Hamburg, 2005
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