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Orange?

Samstag, 1. Dezember 2012

Etwas vom Pferd

Die Sprachenvielfalt in Europa ist weniger beeindruckend, wenn man sich vor Augen hält, dass es hier lediglich vier größere Sprachfamilien gibt und eine Handvoll kleinere bzw. Einzelsprachen: neben den germanischen, romanischen, slawischen und keltischen Sprachen noch Litauisch etwa, Albanisch oder Griechisch. Alle diese Sprachen sind indoeuropäische Sprachen; daneben gibt es noch die finno-ugrische Gruppe (vor allem Finnisch, Estländisch und Ungarisch) und Baskisch. Das wars.

Nachdem die alten Indoeuropäer Europa sozusagen in Windeseile erobert und besiedelt haben (und dabei -bis auf die Basken- die europäische Urbevölkerung verdrängt, vernichtet oder geheiratet haben dürften), müssen sie eine Wunderwaffe gehabt haben. Die hatten sie auch, und zwar das Pferd.

Nähert man sich dem Pferd (wie wir es vom Pferdeflüsterer gelernt haben) vorsichtig und sprachlich, stellt man Interessantes fest:

*ékwos Indogermanische Wurzel; equus: Latein; ἵππος (hippos) Griechisch
marc'h: Bretonisch, march: Walisisch, margh: Cornish
capall: Irish, cabbyl: Manx; ceffyl: Walisisch (ein anderes Wort für Pferd);
cavall: Katalanisch; caval: Occitanisch, cheval (frz), caballo (sp); ĉevalo: Esperanto
hors, ēoh: Angelsächsisch
häst: Schwedisch, hest: Norwegisch, hestur: Ísländisch
: Ungarisch; hevonen: Finnisch; hobune Estnisch
paard: Niederländisch; פערד Jiddisch.
kůň: Tschechisch, koń: Polnisch; konj Kroatisch
Лошадь домашняя: Russisch

Soviel erst mal als Vorübung. Hier fällt z.B. auf, dass die keltischen Sprachen Wörter haben (marc'h, march, margh), die verdächtig ähnlich klingen wie "Mähre".
Dann fällt uns auf, dass romanische und einige der keltischen Sprachen Wörter benutzen, die eher nach Kavallerie klingen als nach equus, was doch, so unser alter Lateinlehrer, auf lateinisch Pferd heißt.
Unsere Mit-Germanen haben Wörter, die man mit etwas Fantasie zum einen mit Ross und zum anderen mit Hengst in Verbindung bringen kann.
Die Slawen haben mehrheitlich Namen, die in Richtung "Kohnj" gehen und uns eher unverwandt vorkommen; die Verwandschaft des Finnischen und des estnischen Namens ist offensichtlich, der Weg zum ungarischen Wort ist etwas länger.
Die Holländer sagen auch Pferd (okay, fast, nur ohne "pf"), und auf Jiddisch sogt men "Ferd" (auch ohne "pf"). Aber es gibt eine Reihe interessante Querverbindungen. Zu diesen kommen wir jetzt.

Das junge Pferd heißt Fohlen, engl. foal; veulen auf niederländisch; auf Frz.: pouliche () bzw. poulain () von pullus (Latein); als Heranwachsende heißen sie im englischen colt: ♂ bzw. filly: ♀. Ab 4 Jahren heißt ♀ mare auf englisch, auf niederländisch merrie, und meir in Scots. Das wäre unsere Mähre. Der erwachsene Hengst heißt auf englisch stallion. Das Wort hängt zusammen mit unserem Stall; stallion ist mithin der Deckhengst. Hengst (deutsch und niederländisch), stag (Scots), étalon auf französisch. Hengst ist ein altes germanisches Wort (so etwas wie *hangista), von dem sich sowohl isländisch hestur wie auch die übrigen skandinavischen Bezeichnungen herleiten lassen. Während z.B. angelsächsisch hengest allgemein Pferd bedeutete, hieß das deutsche Wort bis ins 15.Jhd. "verschnittenes Pferd, Wallach". So ein Pferde-Eunuch heißt auf englisch gelding (abgeleitet von einem altnordischen Wort für "unfruchtbar", geldr); ruin (!) auf niederländisch und hongre (d.h., cheval hongrois, also ungarisches Pferd) auf französisch.; Wallach bezieht sich übrigens auf die Walachei (in Rumänien), von woher wohl verschnittene Pferde importiert wurden; den unverschnittenen Hengst nannte man früher Ganzer; vgl. frz. entier. Ein mustang ist ein wild lebendes ex-domestiziertes Pferd in den USA, ein appaloosa: vom (Idaho-) Indianervolk der Nez Percé gezüchtetes, ursprünglich spanisches Pferd. Ein Pony ist in vielen Spachen ein solches; es handelt sich um ein kleinüchsiges Pferd. Isländische Pferde sind auch klein wie Ponys, nur darf man sie nicht so nennen.

Ross; das Wort lautete im Mittelalter hros oder ors und hängt so natürlich mit nl ros wie auch mit engl. horse zusammen. Der neudeutschen Nuance "edles Pferd" (die es im bayrischen Sprachraum nicht hat: hier gilt das Wort als synonym mit Pferd!) entspricht im Englischen am ehesten charger oder mount, früher auch mal steed (nicht, wie das verwandte deutsche Wort Stute, ein ♀Pferd! ) auf französisch coursier (zu courir, rennen). Auf italienisch destriero (zu destro "geschickt, mutig"), auf spanisch corcel (vom frz. coursier): "Caballo, especialmente el ligero, de gran alzada y bella estampa" (ElPaís.com, diccionario castellano)
Pferd: unser Grundwort hat eine abenteuerliche Etymologie; es leitet sich wohl ab von lat. paravedus, was wiederum von einem keltischen Wort für Kutsche zusammenhängt. Ein Pferd war demnach ein Kutschpferd (und zwar, wie z.B. Mackensen ausführt, "auf einer Nebenlinie", was immer das heißen soll). Etymologisch hängt das Wort auch mit engl. palfrey zusammen. Dieses war ein Reitpferd für die Dame; es hieß auf deutsch Zelter, da so ein Pferd im Paßgang lief (so heißt es meist in den Wörterbüchern; gemeint ist wohl der Tölt, wie ihn heute nur Islandpferde beherrschen)
Gaul war ursprünglich ein Wort für überhaupt ein ♂Tier, erst seit dem 15. Jhd. (vor allem Arbeits-)Pferd . Es gibt noch mehrere andere herabsetzende Begriffe im Deutschen: Klepper, Kracke (norddt.), Zosse (über Rotwelsch aus dem Jiddischen; von Hebräisch sus); Mähre (vgl. Mähr-Rettich: horse radish; auch horse chestnut und Roßkastanie); Schindmähre (taugt nur noch für den Schinder, d.h. Abdecker). Engl. nag, Herkunft unbekannt.

Viele Bezeichnungen für Pferd richten sich nach dessen Farbe:
schwarz Rappe (vgl. Rabe), black, noir, negro
weiß Schimmel, gray, gris
rot Fuchs, chestnut (oder Sorrel), alazán (esp) bzw. alezan (frz): ein arabisches Wort
braun, bay, bai (frz) baio (ital) von einem lat. Wort badius für diese Farbe; vgl. Altirisch buide, "gelb"
gescheckt pinto; skäck auf Schwedisch
falb, champagne, dun; isabell, palomino, buckskin

Und wo bleibt die Kavallerie?
Das Vielvölkerreich des Imperium Romanum sprach viele Sprachen, vor allem in den Kasernen der Peripherie. Nur eines sprach man nicht: Latein, wie wir es aus dem Lateinunterricht kennen. Das war die Sprache der Dichter und Philosophen, doch in den Straßen und Gassen Roms und erst recht in den entlegeneren Teilen des Reichs sprach man einen Mischmasch aus lateinischen Elementen und Brocken Keltisch, Illyrisch, Germanisch oder Thrakisch. Und woher auch immer, das übliche Wort für Pferd war caballus und eben nicht equus. Daher caballo und caballero, cheval und chevalier, capall, caval und - die Kavallerie.

Fußnoten:
  1. In der Sprachwissenschaft werden erschlossene, also nicht schriftlich belegte Wörter und Wortteile mit einem vorangestellten Asterisk (*) gekennzeichnet. Ich folge dieser Praxis
  2. im Bretonischen bezeichnet ch den sch-Laut (wie im Französischen), und c'h den ach-Laut (wie im Deutschen)
  3. daher auch z:b: Marstall und Marschall
  4. das Nederlands etymologisch woordenboek führt das auf Russen zurück. Ob das Putin weiß?
  5. das gibt's öfter und nennt sich Metathese: den Platzwechsel von r (manchmal l) und einem Vokal. Vgl. z.B. "Born" und "Bronn", auch "fright" und "Furcht"
  6. interessanterweise bezeichnete im Germanischen *stoda eine ganze Pferdeherde und deren Aufenthaltsort; daran erinnert auch noch das Wort Gestüt. Vgl. auch Stuttgart

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