In
wenig zimperlichen Zeiten pflegte man zu unterscheiden zwischen dem Irren,
etwa dem, der in der Irrenanstalt herumtobte oder dem, der sich für
Napoleon hielt, und andererseits dem Idioten,
dem geistig Minderbemittelten, auch schwachsinnig genannt oder
zurückgeblieben.
Der
Irre
war und ist (wenn auch oft unter anderem Namen) "ver-rückt",
und zwar im wörtlichen Sinn: seine Weltwahrnehmung ist gegenüber
der unseren verschoben, und je nachdem, wie groß der Unterschied
ist, wie groß auch sein Zweifel an der Welt, kennt unsere Diagnose
die unterschiedlichsten Bezeichnungen. Interessant hierbei ist, dass
auch andere Sprachen diese Verschiebung benennen und ebenso, dass es
jeweils endlos viele Synonyme zu geben scheint.
So
sprechen z.B. die Franzosen von fou
(bzw - bei Frauen - folle),
was letztlich vom lateinischen follis
abgeleitet ist, und das heißt - "Windbeutel, Ballon".
Verrückt heißt auf Lateinisch de
mente captus (daher dement)
bzw. insanus
(daher im Englischen insane).
Es gab früher in der Rechtssprache den Fachterminus de
compos mentis, "bei
klarem Verstand"; war einer das nicht, also non
compos mentis, war er im
Englischen (aus der Verballhornung dieses Begriffs) ein nincompoop,
also ein "Trottel", ein "Einfaltspinsel" - fast
schon ein Idiot, aber aufgeblasener als dieser, eben ein Windbeutel.
Im Spanischen ist ein Verrückter loco
(wovon die Herkunft ungewiss ist: Coromines führt es auf den Plural
des Feminins von arabisch lauq
zurück, aber das muss man nicht glauben. Loco
ist der Spanier übrigens auch, wenn er verrückt nach
etwas ist, etwa seiner Spanierin.
Im
Italienischen sagt man pazzo,
wenn man "toll, rasend" meint, aber auch "unsinnig".
Wenn das Verhalten des Verrückten inkongruent ist mit dem, was ich
für normal halte. A propos "rasend": Es gibt ein
gewichtiges Werk der italienischen Literatur, den Rasenden
Roland des Ludovico
Ariosto (um 1520), in dem
Roland (Orlando) vor Liebe seinen Verstand verliert (soll es geben),
bis ein mitleidiger Prinz Astolfo zum Mond reitet (wenn man einen
Hippogryphen hat, geht das) und ihm von dort seinen Verstand in einer
Flasche zurückbringt. Der rasende Roland heißt im Original
L’Orlando furioso.
Interessanterweise hat das Wort furios,
eigentlich "von den Furien gehetzt", eine geradezu positive
Konnotation im Deutschen. Wahrig gibt neben 1.
wütend, hitzig,
leidenschaftlich auch
2. mit
begeisterndem Schwung, packend an.
Das englische furious
dagegen heißt "wütend", und zwar vor Zorn, nicht vor
Leidenschaft. Diesen Zorn benennt etwa auch das französische
furieux,
oder furioso
im Spanischen und im Italienischen
Aber
bleiben wir kurz beim Englischen: es kennt zwei Wörter für
verrückt, die geradezu in die deutsche Umgangssprache eingegangen
sind: mad
und crazy.
Warum aber sagt man z.B. Mad
Cow Disease
(Rinderwahn: wenn der Kuh auch noch das bisserl Verstand abhanden
gekommen ist), warum nicht Crazy
Cow Disease?
Mad
heisst "mentally ill; insane: Very enthusiastic about someone or
something" (zitiert nach dem Oxford Dictionary of English),
hingegen ist crazy
erst mal "informal" (umgangssprachlich), kann zwar auch so
etwas wie "ausgerastet" heißen, ebenso auch "unsinnig";
laut dieses Wörterbuchs sogar "especially as manifested in wild
or aggressive behaviour". Der Unterschied ist nicht immer
einfach zu fassen: es scheint, als ob bei crazy
mehr das Ausgeflippte, Närrische im Vordergrund steht, und bei mad
eher das Kranke, Wahnsinnige. Andererseits sind die beiden Wörter in
vielen Zusammenhängen fast synonym.
Des
Weiteren kennt gerade auch das Englische eine Unmenge an Synonymen
für "verrückt". Ein aufschlussreiches Wort sei noch
herausgegriffen: lunatic.
Hier steckt ganz deutlich der Einfluss des Mondes (lat. luna;
frz. la lune)
dahiner, der das Tun mancher Menschen, so glaubte man, beeinflusst.
Das Wort hat auch eine umgangssprachliche Form, loony,
und das Irrenhaus heißt dementsprechend loony
bin (früher und offiziell
lunatic asylum).
Loony bin
heißt übrigens wörtlich "Irreneimer" (quasi der
Mülleimer für Irre). Schön ist auch das Kuckucksnest: cuckoo
ist verrückt, und das nest
ist die Anstalt. Wer im Biologieunterricht aufgepasst hat, weiss,
dass der Kuckuck. ....na? J
Jedenfalls
heisst der Film mit Jack Nicholson aus dem Jahre 1975 One
Flew Over the Cuckoo's Nest
Ein
interessantes Wort in diesem Zusammenhang ist das Jiddische
meschugge:
Im heutigen Umgangsdeutsch (nicht unbedingt in der Jugendsprache,
scheint mir) ist es ein Synonym zu "bekloppt" oder
"irgendwie bescheuert"; im Jiddischen heißt es auch schon,
neben "verrückt und wahnsinnig", "spinnert",
"kauzig". Das Wort deckte eigentlich die ganze Bandbreite,
von "liebenswert schrullig" bis "toll, rasend"
ab.
Noch
einmal zurück zum Wort irre:
schon die Gebrüder Grimm bezeichnen das Wort als urverwandt mit
(lat.) errare
-humanum est,
wie wir wissen- und bedeutet somit "sich täuschen, irren,
herumirren", und daher auch "Irrweg", "Irrgarten"
und "Irrtum". Der Irre, das will die Bezeichnung
ausdrücken, ist neben der Spur, nicht auf dem rechten Weg. Er irrt
sich, wenn er glaubt, er sei Napoleon, und wenn ihm keiner glaubt,
bzw. wenn er glaubt, dass ihm keiner glaubt, rast er vor
verzweifelter Wut.
Der
Idiot
hingegen ist ein Trottel. Das ist auch nicht mehr politisch korrekt;
er ist einfältig (im
18. Jahrhundert wollte Johann Jacob Winckelmann noch das Erhabene der
antiken griechischen Kunst aus deren "edler Einfalt" (!)
und "stillen Größe" herleiten) und er ist blöde
(im Sinne von einfachen Gemüts; die Grimms zitieren Luthers
Übersetzung von Hiob: "gott hat mein herz blöde gemacht und
der allmechtige hat mich erschreckt"). Er ist zurückgeblieben,
von schwachem Verstande, ein Simplex, ein Schwachkopf.
Aber
das Wort Idiot hat eine sehr eigenartige Etymologie: ἰδιότης
, Idiotes, heißt im (Alt)Griechischen die Privatperson; im 16.
Jahrhundert wird daraus "der Ungebildete, Laie, Stümper"
(zitiert nach Kluge); als juristischer Fachausdruck für "nicht
im Vollbesitz der geistigen Kräfte" geht das Wort in die
Gemeinsprache ein. Meyers Konversationslexikon von 1895 schreibt:
"Idiotie, Idiotismus (grch.), in der Medizin der Inbegriff aller
Formen von Geistesschwäche (s. d.), die durch frühzeitig (im
Kindesalter bez. schon vor der Geburt) eintretende Störung der
Gehirnentwicklung zu stande kommen," und "Der Grad der
Geistesschwäche zeigt große Verschiedenheiten, von der einfachen
Dummheit bis zum tiefsten Blödsinn"
So
hartherzig man scheinbar früher mit "Schwachsinnigen"
verfuhr: viele "Dorftrottel" waren durchaus akzeptiert im
Dorf, und nicht jeder idiot
de la famille wurde
in der Besenkammer versteckt. Und mal ehrlich: Mit der scheinbar so
objektiven IQ-Messung in unseren Tagen ist es auch nicht so weit her.
Kann man denn Intelligenz messen (messen Sie mal den Regenbogen, den
Hass oder die Ewigkeit!), sollte man sie messen? Was hätte man denn
gewonnen?
Ein
"wissenschaftlich" begründetes "ÄTSCH!"
NB:
Das im Englischen oft auch heute noch gebräuchliche Wort für
chaotisches drunter und drüber, wenn es also zugeht “wie im
Tollhaus”, bedlam,
leitet sich von einer Anstalt namens Bethlehem
Hospital (gegr. in London
1377) her; die erste zwang- u. gewaltfreie Anstalt war das von einem
Quäker namens Tuke im englischen York 1796 gegründete Retreat.
Doch
das ist nochmal eine andere Geschichte...
Fußnoten:
- Joan Coromines, Breve diccionario de la lengua castellana, Madrid 32008
- Gerhard Wahrig, Deutsches Wörterbuch digital 2.1
- vgl. hierzu Beckett, Endgame
- das Wort fehlt interessanterweise im Altnordischen, sagt das Grimmsche Wörterbuch
- Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache Berlin 221989
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